Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)
AMMERER, Gerhard: Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788–1791) und die öffentliche Meinung in Wien
Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788-1791) einem Konzert zum besten gab106. Nur wenige Tage nachdem der Kaiser Wien verlassen und sich zu seinen Truppen begeben hatte und keinen Monat nach der Kriegserklärung Österreichs an die Pforte, scheint in Wien eine diesem Lied entsprechende, einhellig euphorische Kriegsstimmung nicht geherrscht zu haben. Von einem Komödianten gesungen, hätte es, patriotisch gemeint, in Wien wohl wenig Applaus beim Publikum gefunden. Schon die Melodieführung weist hingegen auf eine andere, eine plausiblere Deutungsmöglichkeit hin107: Da der junge Mozart und der wesentlich ältere Haydn befreundet waren108, dieser von jenem verehrt wurde, sie auch zusammen musizierten und Mozart nicht nur Haydns Musik genau studierte, sondern auch jede Gelegenheit wahrnahm, dessen Werke zu hören, wird man annehmen dürfen, daß Mozart auch eine der Wiener Vorstellungen der Haydn-Oper „La vera costanza“ durch die Schauspieltruppe von Kumpf und Schikaneder besucht hat, die diese in den Jahren 1785/86 21mal im Opernhaus gab. Auch danach kam sie noch wiederholt zur Aufführung109. Ähnlich wie bei einer Reihe von anderen Werken110 hat Mozart offenbar auch in diesem Fall einen Haydn-Melodiestrang übernommen und diesen, abgewandelt bzw. breiter instrumentiert, in seine Komposition eingebaut. Ein Teil des „Kriegsliedes“ von Mozart erinnert stark an eine Sequenz aus der Arie des Masino aus dieser Oper, in der dieser den Bauemtölpel Villotto, der um seine Schwester wirbt, verhöhnt. Der deutsche Titel lautet dort: „Spann’ deine langen Ohren ..." Man bedarf nicht der Suche in Mozarts Briefen, um zu erfahren, wen dieser als „Langohr“ klassifizierte, allein die musikalische Anspielung an die besagte Arie dürfte dem Wiener Musikpublikum Mozarts Meinung zum Türkenkrieg deutlich verständlich gemacht haben. Bei Haydn singt Masino nach der übernommenen Sequenz: Wolfgang Amadeus Mozart. Neue Ausgabe sämtlicher Werke. Kassel-Basel-Tours-London 1972, Serie II: Bühnenwerke, Werkgruppe 7, Bd. 4, S. IX f. 107 Dieser Interpretationsansatz, der von der österreichischen Musikwissenschaft nicht aufgenommen wurde oder ihr vielleicht auch unbekannt geblieben ist, stammt von Badura-Skoda, Eva: Personal Contacts and Mutual Influence in the Field of Opera. In: Larsen, Jens Peter - S e r w e r, Howard - Webster, James (Hrsg.): Haydn Studies. Proceedings of the International Haydn Conference. Washington D. C. 1975. New York-London 1981, S. 420; ich habe diesen Hinweis jüngst aufgegriffen und näher ausgefuhrt (mit Notenvergleich der beiden Melodien): Ammerer, Gerhard: „Ich möchte wohl der Kaiser sein“ (KV 539)-ein patriotisches Kriegslied? In: Mitteilungen der Internationalen Stiftung Mozarteum 44 (1996), H. 3-4, S. 42-55. 108 Vgl. z. B. Heller, Friedrich C.: Joseph Haydn - eine Künstlerfreundschaft. In: Csobädi, Peter (Hrsg.): Wolfgang Amadeus. Summa summarum. Das Phänomen Mozart: Leben, Werk, Wirkung. Wien 1989, S. 56-60. 109 Zwischen 1786 und 1792 wurde die Oper zumeist auf deutsch, als „Der flatterhafte Liebhaber“, „Der Sieg der wahren Beständigkeit“ oder „Die wahre Beständigkeit“ in Preßburg, Pest, Wien (Vorstadt Landstraße) und Brünn gespielt (vgl. Feder, Georg: La vera costanza. Dramma giocoso per musica. In: Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters. München-Zürich 1987, Bd. 2.: Werke. Donizetti-Henze, S. 754). Heute wird Haydns komische Oper in zwei Akten in italienischer Fassung unter dem Titel „La vera costanza“, in der deutschen Bearbeitung als „List und Liebe“ aufgefuhrt. 110 Vgl.Robbins L an d o n, H. C.: Mozart und Haydn. In: Zaubertöne. S. 485 f. 77