Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)
AMMERER, Gerhard: Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788–1791) und die öffentliche Meinung in Wien
Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788-1791) wehre ... Feinde ... Schlachtbank ... beweinen ... Krücke ... Blut ... böser Dämon ... Plage“. Die Heftigkeit, mit der über diese Schrift diskutiert wurde, scheint jedoch nicht allein von den drastischen Formulierungen82 hergerührt zu haben, vielmehr stellte es ein Novum dar, daß es ein Autor wagte, dem Kaiser (wie auch der Zarin) dezidiert das Recht abzusprechen, ihre Herrschaft zu willkürlichen außenpolitischen Aktionen zu mißbrauchen und durch einen unvernünftigen Krieg über Leben und Tod von Menschen zu entscheiden: „Wer kann befehlen: du must sterben, damit ich groß werde, und ausgebreiteter herrsche?... Es gehört eine schreckliche Verwegenheit dazu, eine Ungerechtigkeit vor den Augen der ganzen Welt zu begehen... Ihr Feinde der Menschheit!“83 84 Da nach Meinung des Broschüristen Appelle an die Menschlichkeit der Fürsten allein nicht genügten, einen solchen Machtmißbrauch abzustellen, gipfelte die konsequente Schlußfolgerung aus den Überlegungen in der unverhohlenen Aufforderung zur Revolution: „Es liegt ein Gefühl in uns, das Gefühl des Rechts und Unrechts; gesellt sich zu diesem Gefühl Verstand und Muth: so retten sich die Menschen von selbst. An einigen Or- then haben sie sich schon gerettet. Belebt vom lebendigen Gefühl des Unrechts, stürzen sie den Despotismus. Die Geschichte Englands beweiset uns sattsam, was Menschen - ein gesammeltes Volk-was die können! sie zeigt, daß der Fürst ohne die duldende Trägheit seiner Unteijochten, wie eine Biene ohne Stachel ist ... Was wäre also für eine Regierung die beßte? Die beschränkte Monarchie. Laßt den Monarchen die Herrschaft über einen bestimmten Theil der Güter der Unterthanen; aber windet ihnen nur die Gewalt über der Menschen Leben aus den Händen.“88 Der Rezeptionsgrad dieser Schrift, die den habsburgischen Untertanen die Glorreiche Revolution Englands und den Parlamentarismus als Vorbild präsentierte, war enorm, wie die Publizistik bestätigt. 85 Neben einer unmittelbar danach erschienenen Gegenbroschüre eines „patriotischen Invaliden“, die bei den Untertanen Feigheit und Bequemlichkeit ortet, („Ihr zittert beim Waffenklang? euch reizen nur melodische Töne der Opemmusik und wollüstiger Reihentanz?... Auf teutsche Männer! werft die Fesseln des Luxus ab, erwacht aus dem Schlafe der Weichlichkeit und zeigt euch würdig eurer Nation“86 *), stellten die meisten Wiener Zeitschriften das schmale, jedoch hochbrisante Bändchen ihren Lesern vor, wenn auch nicht alle Redakteure so recht wußten, wie sie mit derart radikalen Ideen und Formulierungen umgehen sollten. Manche Blätter druckten daher kommentarlos einige Auszüge ab und überließen das Urteil dem 82 (anonym:) Ein Wort im Vertrauen über den Türkenkrieg, S 5 : „Völker, die im Schoo- se ihres Vaterlandes glücklich leben, werden herausgerissen aus ihren stillen friedlichen Hütten, müssen hin auf die Grenze, und morden - sich morden oder verstümmeln lassen, und einst auf einem zerschmetterten Bein mit vier Kreuzer Dankgehalt zu mitleidigen Seelen, um einen erfrischenden Labungstrank kriechen - betteln.“ 83 Ebenda, S. 13 und 17. 84 Ebenda, S. 25. 83 „Diese Schrift hat viel Aufsehen gemacht.“ (Allgemeine Deutsche Bibliothek. Bd. 93/2, 1790, S. 592). 86 (anonym:) Auch ein Wort bei Gelegenheit des Türkenkrieges von einem patriotischen invaliden Offizier an seine Landsleute. Weißenfels 1788, S. 20 f. 73