Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)
AMMERER, Gerhard: Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788–1791) und die öffentliche Meinung in Wien
Gerhard Ammerer Spital an seinen Vater, werden auch in den „Neuesten Wiener Nachrichten“ gebraucht, doch dienen sie hier einer kritischeren Sichtweise. Mangelndes Kriegsglück75 76, Krankenzahlen, Dienstuntauglichkeit und Teuerung sind zentrale Themen in dieser offenbar um möglichste Objektivität bemühten Zeitung. Gleichzeitig kritisiert sie (nach türkischen Militärerfolgen) die einseitig positive Berichterstattung durch andere Autoren: „Unsere Broschürenschriftsteller mögen von dem Wunderthätigen der um die Gränze gemachten Feldverschanzuugen (sic!) rühmliches schreiben, so viel sie wollen, so ist das hiesige Publikum dennoch sehr weit entfernt, selbes zu bewundern, seitdem die Türken ins Bannat gedrungen sind. “16 Einer der regierungstreuen Broschüristen, der sich voll und ganz mit den kriegerischen Aktivitäten identifizierte, war, wie oben erwähnt, Johann Rautenstrauch, dessen in Einzelheiten abgefaßtes „Ausführliches Tagebuch des itzigen Krieges zwischen Oesterreich und der Pforte“ von der Idee „einer vollständigen Darstellung der Ereignisse dieses Krieges“77 beseelt war, jedoch am Lesermarkt nicht bestehen konnte. Es mußte mangels Interesses nach wenigen Heften eingestellt werden78. Offenbar war das Publikum an einer offiziösen Darstellung wenig interessiert und las lieber die (von Rautenstrauch heftig angegriffenen)79 kritischen Bemerkungen zum Krieg. Eine Broschüre sorgte für besonderes Aufsehen. Der anonyme Autor, ein guter Kenner der Schriften Rousseaus und Herders80, teilte 1788 der Bevölkerung „Ein Wort im Vertrauen über den Türkenkrieg“81 mit. Auf jeder Seite, wo immer man das Heftchen aufschlägt, finden sich Leitwörter (hier S. 6) wie folgt: „Noth ... MordgeNeueste Wiener Nachrichten vom 23. Oktober 1788, S. 330: „Des Kaisers Stellung ist äusserst ungünstig. Die Furien scheinen sich aufgemacht zu haben, seinen Muth zu prüffen. Noch würgt die Seuche täglich zu Hunderten; noch stürmt der Feind von allen Seiten mit rasendem Ungestüm auf ihn; noch zeigt ihm das Kriegsglück keinen lächelnden Blick.“ 76 Neueste Wiener Nachrichten vom 2. Oktober 1788, S. 19; in diesem Band (S. 21-25) auch die oben genannte (vermeintliche) direkte Berichterstattung der an den Kämpfen Beteiligten. 77 Rautenstrauch: Ausführliches Tagebuch. 1. Bd., S. 3. 78 Strasser, Kurt: Die Wiener Presse in der Josephinischen Zeit. Wien 1962, S. 92. 79 So brachte Rautenstrauch im 4. Heft seines „Ausführlichen Tagebuchs ..." (S. 375-390) eine „Kurze Uibersicht und Beurtheilung einiger über den itzigen Krieg bisher erschienenen Schriften,“ die kein positives Wort über die anderen Berichterstatter enthielt. Beim einen der publizierenden Konkurrenten fehlte ihm der rote Faden und fielen ihm Sprach- und Druckfehler auf (Vollständige Geschichte des itzigen Krieges zwischen Oesterreich, Rußland und der ottomannischen Pforte von 1788), beim anderen wünschte er sich die Weglassung von „überflüssigen Dingen“ und die Einbeziehung „zweckmässigere(r) Materialien“ (Ueber die österreichisch=russisch=türkische Kriegsbegebenheiten des Jahrs 1788. In Briefen von J. W. v. Bourscheid). J. M. Schweighofer stellte er überhaupt als Phantasierer hin: „Der Mann weiß Dinge, die ausser ihm Niemand bekannt sind ... Indes haben die politischen Schriften dieses Mannes mit den Aussprüchen des delphischen Orakels viele Ähnlichkeiten, denn Niemand kann daraus klug werden.“ (J. M. Schweighofers politischer Zuschauer; derselbe: Wöchentliche Beyträge zur Geschichte des gegenwärtigen Feldzugs der Oesterreicher und Russen wider die Türken), während der vielgelesene „Unpartheyisch geographisch=historische Kriegsweiser“ von Rautenstrauch als Blatt charakterisiert wird, in dem „Sprache und Verstand ... so nothzüchtigt (sic!) (seien), daß man die Grausamkeiten der Türken beynahe darüber vergessen könnte“. 80 W angermann: Sonne der Aufklärung, S. 153. 81 (anonym:)Ein Wort im Vertrauen über den Türkenkrieg, 1788. 72