Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)

AMMERER, Gerhard: Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788–1791) und die öffentliche Meinung in Wien

DER LETZTE ÖSTERREICHISCHE TÜRKENKRIEG (1788-1791) UND DIE ÖFFENTLICHE MEINUNG IN WIEN von Gerhard Ammerer „Wien ist vor allen anderen Orten bei diesem Auftritt geschäftig. Die Unternehmungen und das Schicksal der kaiserlichen Armeen an den türkischen Gränzen, sind gegenwärtig der erste Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit. “ (Pezzl, Skizze von Wien, 1788)1 Was ist die „öffentliche Meinung“? Das Zeitalter der Aufklärung hat bekanntlich einer Fülle von neuen Ideen, Kon­zepten und Reformanliegen zum Durchbruch verholfen, unbekannt blieben auch dem späten 18. Jahrhundert bedauerlicherweise Meinungsforschungsinstitute und demo- skopische Erhebungen. Besonders unter der Regierung Josephs II. existierte und artikulierte sich nach der Zensurerleichterung (1781) eine Meinungsvielfalt, die vom politischen, gesellschaftlichen und sozialen Status des einzelnen und von Gruppen wie auch von unterschiedlichen weltanschaulichen Überzeugungen getragen wurde. Schon von daher ist es dem heutigen Historiker nur mehr schwer möglich, so etwas wie die „öffentliche Meinung“ zu (Tages-) Themen dieser Zeit zu rekonstruieren. Der vage Terminus - schon die Begriffsbestimmung bereitet verschiedenen wis­senschaftlichen Disziplinen bis heute Schwierigkeiten2- war seit der Mitte des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluß der Schriften Rousseaus in Frankreich allgemein gebräuchlich geworden. Die deutsche Sprache übernahm ihn erst gegen Ende des Jahrhunderts. Bis dahin wurden (teil-) synonyme Termini wie „öffentliche Aufmerk­samkeit“ (vgl. das Einleitungszitat), „öffentliches Urteil“ etc. verwendet. Jürgen Habermas hat darauf hingewiesen, daß das Entstehen einer öffentlichen Meinung, die die repräsentative Öffentlichkeit der feudalen Gewalten ablöste, mit der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft einherging3. Innerhalb dieser sich während der Phase des Merkantilismus wandelnden sozialen und politischen Ord­nung entwickelte ein Faktor eine besonders Sprengkraft: die Presse. Sie war „ein 1 Pezzl, Johann: Skizze von Wien, 5. Heft. Wien-Leipzig 1788, S. 628. 2 Vgl. etwa den Sammelband von Small, Melvin (Hrsg.): Public Opinion and Historians. Interdisciplinary Perspectives. Detroit 1970. Arlette Farge schlägt vor, da es ihrer Meinung nach im 18. Jahrhundert keine „öffentliche Meinung“ im modernen Sinn gegeben hat, „public opinion“ durch „popular opinions“ zu er­setzen; dem entspricht allerdings nicht der Titel der englischen Übersetzung: Farge, Arlette: Subversive words. Public Opinion in Eighteenth-Century France. Cambridge 1994, vgl. bes. S. 4; In französischer Sprache 1992 erschienen unter dem Titel: Dire et mal dire: L’opinion publique au XVIIIe siede. 3 Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürger­lichen Gesellschaft. Darmstadt 16. Aufl. 1984, S. 15 ff. u. S. 33 ff. 59

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