Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)

AMMERER, Gerhard: Der letzte österreichische Türkenkrieg (1788–1791) und die öffentliche Meinung in Wien

Gerhard Ammerer Diener zweier Herren“: Zum einen wurde sie systematisch den obrigkeitlich­politischen Interessen dienstbar gemacht, wie nicht zuletzt die Presseverordnung der Wiener Regierung vom März 1769 deutlich macht: „Damit der Zeitungsschreiber wissen möge, was für inländische Anordnungen, Anstal­ten und andere vorkommende Sachen für das Publikum geeignet sind, sollen solche von den Behörden wöchentlich zusammengefaßt und an den Zeitungsverfasser abgegeben werden.“4 Zum anderen begann bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts das- historisch vorbildlose - Räsonnement Einzug in die Tagespresse zu halten und mit der Artikulation von Untertaneninteressen entstand ein Gegenpart zur öffentlichen Gewalt5. Der frühere Adressat der Obrigkeit wandelte sich nun (auch) zu dessen Kontrahenten; es kam zunehmend zu einer Polarisierung von Staat und Gesellschaft, so Habermas6. Einen der Höhepunkte in diesem Polarisierungsprozeß bildete in Österreich der von der neueren Forschung sträflich vemachläßigte Türkenkrieg Josephs II. Wichtige gesellschaftliche Institutionen der Öffentlichkeit hatten sich erst jüngst etabliert: der Salon, das Kaffeehaus, der Lesezirkel, die aufklärerische Soziä- tet, das Theater7. Das Publikum war vornehmlich ein Leser- und Zuschauerpubli­kum. Widersprüchliche Meinungen gab es bereits im josephinischen Wien zur Frage nach den Trägem der öffentlichen Meinung (siehe unten). Sucht man nach frühen lexikalischen Nennungen, so wird deutlich, daß im deutschen Sprachraum diese Funktion anfänglich der „Intelligenz“, den „gebildeten Ständen“ zugesprochen wur­de: „Öffentliche Meinung ist die zu einer gewissen Zeit in dem größeren und gebildeteren Teile des Publikums herrschende Ansicht.. .“8 Diese enge Definition, die Habermas in den Grundzügen übernommen und mit dem Terminus „bürgerliche Öffentlichkeit“ belegt hat, wurde in der Geschichtswis­senschaft bisweilen als bequemer theoretischer Rahmen übernommen. Erst in jüng­4 H a b e r m a s: Strukturwandel, Zitat S. 36. 5 Zum System der Teilöffentlichkeiten in der mittelalterlichen Ständeordnung jüngst: Faulstich, Wer­ner: Die Geschichte der Medien. Bd. 2: Medien und Öffentlichkeiten im Mittelalter, 800-1400. Göttingen 1996. 6 Habermas: Strukturwandel, S. 40; für den Bereich der Literatur vgl. Mi che Isen, Peter: Der unruhige Bürger. Der Bürger und die Literatur im 18. Jahrhundert. In: Vierhaus, Rudolf (Hrsg.): Bür­ger und Bürgerlichkeit im Zeitalter der Aufklärung. Heidelberg 1981, bes. S. 108 u. S. 113. 7 Vgl. dazu auch den Überblick bei Dülmen, Richard van: Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. Bd. 3: Religion, Magie, Aufklärung 16.-18. Jahrhundert. München 1994, S. 226-249 (Kapitel: Medien der Aufklärung). 8 Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände (Conversations-Lexikon). Leipzig 1820, zit. nach Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Träger der öffentlichen Meinung. In: L ö f f 1 e r, Martin (Hrsg.): Die öffentliche Meinung. Publizistik als Medium und Faktor der öffentlichen Meinung. München- Berlin 1962, S. 26; zu den unterschiedlichen Begriffsbestimmungen am Beginn des 19. Jahrhunderts vgl. Fiad, Ruth: Studien zur politischen Begriffsbildung in Deutschland während der preußischen Reform. Der Begriff der öffentlichen Meinung bei Stein, Arndt und Humboldt. Berlin-Leipzig 1929. 60

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