Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)

HÖDL, Sabine: Eine Suche nach jüdischen Zeugnissen in einer Zeit ohne Juden. Zur Geschichte der Juden in Niederösterreich von 1420 bis 1555

Eine Suche nach jüdischen Zeugnissen in einer Zeit ohne Juden tert, getödt, vertilgt, ihr blut von ihn genommen unnd zu ihrem erstockhten verdambli- chen wesen gebraucht, fürkomen; (...)' . Neben diesen Hostienschändungs- und Ritualmordvorwürfen wurde den Juden au­ßerdem Betrug mit falschen Briefen und Siegeln und damit die Schuld an der Ver­armung von Christen angelastet. Die steirischen und Kärntner Juden mußten bis zum 6. Jänner 1497 das Land verlassen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie die Möglichkeit, sich um die Regelung ihrer Geschäfte und den - auf Grund der knapp bemessenen Zeit meist unter dem eigentlichen Wert abgeschlossenen - Verkauf ihrer Besitzungen zu kümmern. IV. Das politische Umfeld im 15. Jahrhundert und seine Auswirkungen auf die Stellung der Juden Für die Ausweisungen der Juden aus den meisten Städten des Reichs im 15. Jahr­hundert können mehrere nebeneinander wirksame Gründe geltend gemacht werden, die auch bei der Vertreibung der Juden aus Österreich und noch viel stärker bei jener aus der Steiermark und Kärnten eine Rolle spielten: Durch die im Verlauf des Mittelalters erzwungene einseitige Orientierung der Ju­den im Geldgeschäft traten sie den christlichen Mitmenschen als unliebsame Gläu­biger gegenüber. Damit entstand das Bild des „typischen Juden“, des Wucherers, womit in der gerade herrschenden ungünstigen wirtschaftlichen Lage ein Schuldiger gefunden war16 17. Nicht nur, weil Stände und Zünfte die Juden als „Landplage“18 empfanden, sondern auch, weil die Städte zu dieser Zeit eine wirtschaftliche Selbst­ständigkeit erreicht hatten, die die Tätigkeit von Juden im großen Geldgeschäft und in der Pfandleihe entbehrlich machte19, wurde jene soziale Gruppe entfernt, die lange Zeit ein wesentlicher Träger des wirtschaftlichen Fortschritts gewesen war, nun aber für diese Schrittmacherdienste nicht mehr benötigt wurde20. Durch die Abschließung des Warenhandels gegenüber jüdischen Handelsleuten und durch den Ausschluß von Juden aus handwerklich betriebenen Gewerbezweigen sowie durch den Zusammen­16 Die Ausweisungsurkunde für die Steiermark ist ediert bei H e r z o g: Urkunden und Regesten (wie Anm. 3), S. 10-11, Nr. VII und zum Teil bei Saitschik: Beiträge zur Geschichte der rechtlichen Stellung (wie Anm. 3), S. 50. Die Kärntner Ausweisungsurkunde befindet sich im Kärntner Landesarchiv, Ständi­sche Urkunden, eine Abschrift davon gibt es im Hofkammerarchiv [in Hinkunft: HKA] Wien, Niederöste- reichische Herrschaftsakten [in Hinkunft: NÖ HA], Fasz. W 61/C 43, fol. lr-2r (1496 März 9). Zitiert wird nach der Kärntner Ausweisungsurkunde im HKA 17 Battenberg, Friedrich: Des Kaisers Kammerknechte. Gedanken zur rechtlich-sozialen Situation der Juden in Spätmittelalter und früher Neuzeit. In: Historische Zeitschrift 245 (1987), S. 545-599, hier S. 562-563, und T s c h e c h: Maximban (wie Anm. 5), S. 115. 18 Battenberg: Des Kaisers Kammerknechte (wie Anm. 17), S. 553. 19 Battenberg, Friedrich: Das europäische Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt. Teilband I: Von den Anfängen bis 1650. Darmstadt 1990, S. 163, Hörburger, Hortense: Judenvertreibungen im Spätmittelalter. Am Beispiel Eßlingen und Konstanz. Frankfiirt-New York 1981 (Campus Forschungen 237), S. 2 und Wenninger, Markus: Man bedarf keiner Juden mehr. Ursachen und Hintergründe ihrer Vertreibungen aus den deutschen Reiclisstädten im 15. Jahrhundert. Wien 1981 (Archiv für Kulturgeschichte, Beiheft 14), S. 251. 20 Lohrmann- Wadi- Wenninger: Die Entwicklung des Judenrechtes (wie Anm. 5), S. 36, bzw. Wadi: Die Geschichte der Juden in Kärnten (wie Anm. 15), S. 31. 277

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