Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)
HÖDL, Sabine: Eine Suche nach jüdischen Zeugnissen in einer Zeit ohne Juden. Zur Geschichte der Juden in Niederösterreich von 1420 bis 1555
Sabine Hödl Schluß christlicher Gewerbetreibender in Zünften und sonstigen Einigungen, die Juden schon alleine auf Grund des Glaubens nicht zugänglich waren, fielen sie aus der gesellschaftlichen Ordnung einer Stadt heraus, und es entstand in der Bevölkerung das Bewußtsein, daß Juden Rechtssubjekte minderen Rechts, ja Rechtsobjekte seien21. Damit verschlechterte sich ihre rechtliche Position im Spätmittelalter rapide. Zusätzlich änderten sich mit dem Beginn des 15. Jahrhunderts die Einkommensverhältnisse der Juden. Ein Wechsel ihrer Kundschaft - waren es früher vorrangig Patrizier, Landadelige und hohe Geistliche, so kamen nun kleinere Bürger und Bauern, um Schulden zu machen - und damit eine Änderung der Vermögensverhältnisse zog eine Verarmung der Juden nach sich, die durch die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stattfindenden Schuldentilgungen noch verstärkt wurde. Die größeren Finanzgeschäfte waren in die Hände christlicher Kaufleute übergegangen, da die Kirche hinsichtlich des Zinsverbots aus Eigennutz liberaler geworden war und einige Städte den Bürgern das Zinsennehmen sogar ausdrücklich erlaubten22. Durch diese Entwicklungen sank die Steuerkraft der Juden und sie wurden als Besteuerungsobjekte uninteressant. Mit dem Wegfall des finanziellen Vorteils für den Judenherren - die Beziehungen zu ihren jüdischen Untertanen waren nicht von humanitären, Sonden vorwiegend von fiskalischen Überlegungen geprägt - waren Schritte zur Vertreibung dieser Bevölkerungsgruppe die regelmäßige Folge. Diese bzw. die damit im Zusammenhang stehenden Vermögenskonfiskationen waren eine Möglichkeit für den Landesherm, seine Finanzen wieder aufzubessern. Damit bekamen die Verfolgungen und Vertreibungen des 15. Jahrhunderts einen anderen Charakter als die früheren, denn nun waren sie obrigkeitlich gelenkt und dienten häufig der Ablenkung einer aus anderen Ursachen erregten Bevölkerung23. Im Prinzip war die Rechtsstellung der Juden noch durch den Begriff der Kammerknechtschaft definiert, doch waren sie nur noch dem Namen nach Kammerknechte des Kaisers, in der Praxis waren sie schon zu fürstlichen Kammerknechten geworden24. Ursprünglich war die Kammerknechtschaft ein umfassendes Schutzverhältnis gewesen, das die Juden zu einer Sondergruppe in der Bevölkerung machte und sie nicht mehr auf dieselbe Ebene mit anderen schutzwürdigen Personen wie Frauen, Battenberg: Des Kaisers Kammerknechte (wie Anm. 17), S. 560-561. 22 Lohrmann — Wadi — Wenninger: Wirtschafts- und Sozialgeschichte (wie Anm. 5), S. 62, Wenninger: Man bedarf keiner Juden mehr (wie Anm. 19), S. 226-227 und Wies flecker, Hermann: Maximilian I. Die Fundamente des habsburgischen Weltreiches. Wien 1991, S. 240. Ein frühes Beispiel für den Geldverleih durch Christen im süddeutschen Raum ist die Konstanzer Wuchergesetzgebung vom 18. April 1338, in der die von Bürgern und Juden betriebenen Darlehensgeschäfte geregelt wurden: (...) do satzt der gross rat dis Satzung, das enkain burger noch burgerin, er sy arm aid rich, phaff oder laye, die soelichs gewerbs pflegend, die pfenninge umb pfenning uff merung usslihend, der sol nit mer nútzens davon nemen, daz wie daz er lihen mag min pfenning umb ain pfenning, nun pfunt umb ain pfunt ain gantzes jar, und nit túró. (...). Zitiert aus Quellen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte mittel- und oberdeutscher Städte im Spätmittelalter. Ausgewählt und übersetzt von Gisela Möncke. Darmstadt 1982, S. 238-239, Nr. 71. 23 Battenberg: Des Kaisers Kammerknechte (wie Anm. 17), S. 554 und Wadi: Die Geschichte der Juden in Kärnten (wie Anm. 15), S. 25—26. 24 Battenberg, Friedrich: Zur Rechtsstellung der Juden am Mittelrhein in Spätmittelalter und früher Neuzeit. In: Zeitschrift für historische Forschung 6 (1980), S. 129-183, hier S. 138. 278