Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)

FLÖTER, Jonas: „Wenn wir ihn stürzen können, so sollten wir es je eher je lieber thun, …“ Zum Verhältnis Bismarcks und des preußischen Gesandten in Wien zur ministeriellen Krise in Cisleithanien und zu Beusts Sturz (1869–1871)

ter ins Ministerium würde bereits genügen95. Hiermit knüpfte der Gesandte an den Bismarckschen Gedanken über die Aufrechterhaltung der cisleithanischen Verfas­sung als „konstitutionelle Mumie“ an, wodurch seiner Meinung nach ein Ausgleich zwischen den Interessen der nichtdeutschen Gruppen und der prodeutschen Außen­politik der Habsburgermonarchie denkbar gewesen wäre. Unmittelbar nach dem Sturz des Ministeriums Hohenwart-Schäffle erschien in den „Preußischen Jahrbüchern“ eine Korrespondenz „Aus Deutsch-Österreich“, welche sich bereits über das Beustsche Memorandum vom 13. Oktober 1871, allerdings noch nicht über den Ministerrat vom 20. Oktober, informiert zeigte. Aus den Mittei­lungen von Moritz Busch ist zu erfahren, daß Ludwig Karl Aegidi diesen Artikel nach Vorgabe von „Dem oben“96 verfaßte, womit sich diese Korrespondenz als un­mittelbare Stellungnahme Bismarcks herausstellte. Bismarck ging hier über seine Haltung von Februar und August 1871 hinaus und sah nun in der kaiserlichen Au­torität die grundlegende Basis für die Stabilität der Habsburgermonarchie97. Er be­dauerte, daß die Deutsch-Liberalen dieses Faktum so lange verkannt hätten. Die föderalistisch-ultramontane Bewegung dagegen sei mehr klerikal als monarchisch eingestellt und benutze die Tschechen nur, so daß der Streit „weder mit einem Sieg der Slaven noch der Deutschen, sondern mit einer Niederlage der politischen und religiösen Freiheit oder mit einer Befestigung verfassungsmäßiger und modern staatlicher Zustände endigen“ werde98. Damit zeigte sich Bismarcks eindeutige Stel­lungnahme für die Position Beust-Lónyay-Andrássy, das dualistische System und letztlich für die Deutsch-Liberalen. Die prodeutsche Außen- und Innenpolitik schien sich damit Bahn gebrochen zu haben und der Erfolg Beusts gesichert. Anscheinend wollte Kaiser Franz Joseph die von ihm als antimonarchisch inter­pretierte Haltung der Deutsch-Liberalen sowie die Verweigerungsstrategie Beusts gegenüber Hohenwart nicht in vollem Umfang zum Erfolg kommen lassen und sah im Grafen Andrássy die Persönlichkeit, die neben der Loyalität zur Dynastie auch die prodeutsche Außenpolitik weiterzuführen bereit war. Darüber hinaus artikulierte Andrássy weniger die Politik eines österreichischen Liberalen als vielmehr die eines ungarischen Freisinnigen99. „Wenn wir ihn stürzen können, so sollten wir es je eher je lieber thun ... “ 95 Pol. Arch. A. A. Bonn, R 8461 (Schweinitz an Bismarck, 28. September 1871). Auch nach dem Memo­randum Beusts vom 13. Oktober 1871 über die schädliche Wirkung einer nachträglichen Anerkennung des ungarischen Ausgleichs für das Ansehen der Monarchie im Ausland und dem daraus folgenden aktiven Eingreifen Beusts in die cisleithanische Innenpolitik konnte Schweinitz noch immer keine unversöhnliche Haltung zwischen Beust und Hohenwart erkennen. (Pol. Arch. A. A. Bonn, R 8462, Schweinitz an Bis­marck, 18. Oktober 1871). 96 Busch: Tagebuchblätter. Bd. 2, S. 288. 97 „Noch ist die Verfassung - und das ist die eigentliche Frage, die man nur ungenau .Sache der Deutschen in Oesterreich“ nennt - keineswegs verloren. Aber freilich, wenn sie fortbesteht, wird das Reich mit seiner eigenen Fortdauer sie dem souverainen Willen und der Verfassungstreue des Monarchen zu verdanken ha­ben.“ (Aus Deutsch-Oesterreich, S. 560). 98 Aus Deutsch-Oesterreich, S. 558. 99 Diószegi, István: Österreich-Ungarn und der französisch-preußische Krieg 1870-1871. Budapest 1974, S. 283. 267

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