Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)

FLÖTER, Jonas: „Wenn wir ihn stürzen können, so sollten wir es je eher je lieber thun, …“ Zum Verhältnis Bismarcks und des preußischen Gesandten in Wien zur ministeriellen Krise in Cisleithanien und zu Beusts Sturz (1869–1871)

Jonas Flöter in der Person Schäffles im Ministerium vertreten sah. Beide Richtungen bezeichnete Bismarck als Gegner Deutschlands92. Damit blieb Bismarck einerseits seinem Standpunkt vom 15. Februar 1871 treu, indem er mehr die Verbündeten des Föderalismus als den Föderalismus selber kriti­sierte, andererseits bezeichnete er den Ultramontanismus und den Sozialismus als Gegner, womit er erstmals Stellung gegen das Ministerium Hohenwart-Schäffle bezog. Somit äußerten sowohl Kaiser Wilhelm (direkt) als auch Bismarck (indirekt) ihre Sympathien Dir die Vorrangstellung der Deutsch-Österreicher in Cisleithanien und damit für die Beibehaltung des gegenwärtigen dualistischen Systems in der Habsburgermonarchie93. Seitdem sich Anfang September 1871 eine Festigung des cisleithanischen Regie­rungskurses abzeichnete und dieser durch das kaiserliche Reskript vom 12. Sep­tember 1871 ausdrücklich unterstützt wurde, schilderte Schweinitz anhand der öster­reichisch-ungarischen Verfassungsstruktur die Möglichkeit der Koexistenz beider politischer Richtungen. Beust benötige das cisleithanische und das transleithanische Parlament, so Schweinitz, nur für die Delegationen und könne sich bei einer tsche­chisch-slawischen Mehrheit im Reichsrat immer noch auf die ungarische Delegation und eventuell auf die Polen stützen. Da seine deutsche Politik nicht angegriffen wür­de, werde es ihm mit ihrer Hilfe möglich sein, sich zu halten. In seinem Interesse liege es daher nur, daß Hohenwart die Wahl einer verfassungsmäßigen, von Ungarn anerkannten cisleithanischen Delegation arrangiere. Die Dinge ständen iur Hohen­wart so schlecht nicht, da er sich den Widerstand der Deutsch-Österreicher für die Nachgiebigkeit der Tschechen zunutze machen und die Verfassungstreuen dazu bringen könne, sich mit einem parlamentarischen Apparat zu begnügen, der auf Delegationswahl und Budget beschränkt sei. Der Form nach bliebe die konstitutio­nelle Kontinuität zwar gewahrt, in der Sache käme dies aber einer zweiten Sistie­rung gleich. Man könnte damit so lange regieren, bis sich die Gemüter für einen Ausgleich beruhigt hätten94. Schweinitz erkannte anscheinend selbst, daß das gegen­seitige Ausspielen von Tschechen und Verfassungstreuen höchstens eine theoretische Mutmaßung war, da er letztlich selbst zugab, daß ein Ausgleich derzeit nicht mög­lich sei. Trotzdem, meinte Schweinitz, müsse Hohenwart nicht zurücktreten, eine Trennung von Schäffle und die Aufnahme tüchtiger deutsch-österreichischer Beam­Pol. Arch. A. A. Bonn, R 8423 (Bismarck an Thile, 22. August 1871). Bismarck versuchte unter Zurück- drängung des nationalen Aspekts aufkeimenden Sympathien in Deutschland für das Streben der Deutsch- Österreicher vorzubeugen. Die Tatsache, daß Bismarck diesen Bericht zur Mitteilung an die Presse übermittelte, zeigt deutlich die innenpolitische Ausrichtung. 93 Interessanterweise kam es in Salzburg zu einem Treffen zwischen Bismarck und Hohenwart (Beust: Aus Drei Viertel-Jahrhunderten. Bd. 2, S. 497), worauf sich Bismarck allerdings nie bezog. In welchem Maß Bismarck auf den Sturz des Ministeriums Hohenwart-Schäffle hinarbeitete, ist nicht klar. Schäffle war von dessen Einflußnahme überzeugt (S chäffle, Albert Eberhard Friedrich: Aus meinem Leben. Bd. 2. Ber­lin 1905, S. 36). Demgegenüber wird in dem von Bismarck inspirierten Artikel „Aus Deutsch- Oesterreich“ betont, „daß das Hohenwart’sehe Experiment unbehindert vor sich gehen konnte“ (Aus Deutsch-Oesterreich. In: Preußische Jahrbücher. Bd. 28. Berlin 1871, S. 557-561, hier S. 559). 94 Schweinitz teilt in diesem Bericht die Meinung „einiger Männer“ mit, daß die Bewegung der deutschen Bevölkerung die Stärkste seit 1848 sei. 266

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