Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)
FLÖTER, Jonas: „Wenn wir ihn stürzen können, so sollten wir es je eher je lieber thun, …“ Zum Verhältnis Bismarcks und des preußischen Gesandten in Wien zur ministeriellen Krise in Cisleithanien und zu Beusts Sturz (1869–1871)
Andrássy oder Lónyay an die Spitze des Außenministeriums treten würde, meinte Bismarck daher nur, er sei bezüglich Österreich-Ungams zu allem außer einer Feindschaft gegenüber Rußland bereit, wodurch er die Beustsche Politik offen unterstützte88. Somit verwundert es nicht, daß Bismarck erneut ein persönliches Treffen mit Beust anregte; auch Kaiser Wilhelm bemerkte, er wolle die 1865 unterbrochene Kur in Gastein wieder aufnehmen. Die Neuwahlen zum Reichsrat sowie die dazu von Hohenwart am 10. August 1871 veranlaßte Auflösung von acht Landtagen mit liberalen, antiföderalistischen Mehrheiten ließen es Bismarck und Kaiser Wilhelm in den Gesprächen während der zweiten Augusthälfte in Ischl, Gastein und Salzburg notwendig erscheinen, ihre Sympathie für die Deutsch-Österreicher zu bekunden. Auf die innenpolitische Krise in Cisleithanien durch Kaiser Wilhelm angesprochen, drückte Kaiser Franz Joseph die Hoffnung aus, auch mit den Tschechen zu einem Ausgleich kommen zu können. Zusätzlich klagte er über die hohen Ansprüche der Deutsch-Österreicher, worauf Kaiser Wilhelm meinte, daß, „wenn es gelänge, die deutschen Untertanen in bezug auf ihre wirklichen Bedürfnisse zufrieden zu stellen, sie gewiß nicht ihre Augen aus Österreich richten würden“* 85. Daß der deutsche Kaiser als „wirkliche Bedürfnisse“ die Erhaltung der gegenwärtigen Verfassungszustände in Cisleithanien und die daraus hervorgehende Vormachtstellung der Deutsch-Österreicher betrachtete, geht auch aus seiner Unterredung mit Beust hervor, in der er bezüglich der Landtagsauflösungen meinte, daß „wir Deutschen dabei schlecht wegkamen“50. Auch wenn Bismarck die Ausführungen Wilhelms als Anwandlungen und Insinuationen” bezeichnete, war eine grundsätzliche Sympathie des Deutschen Kaisers für die Deutsch-Österreicher51 und die Politik Beusts nicht zu übersehen. Im Gegensatz dazu wollte Bismarck die innere Krise Cisleithaniens weniger als nationalen Kampf zwischen Slawen und Deutschen, sondern vielmehr als eine Auseinandersetzung zwischen liberalen und konservativen Kräften sehen. Trotzdem übte Bismarck an der konservativ-föderalistischen Partei herbe Kritik, da sie sich mit dem Ultramontanismus und dem Sozialismus verbündet habe, wobei er den Sozialismus bereits „Wenn wir ihn stürzen können, so sollten wir es je eher je lieber thun ... “ Pol. Arch. A A. Bonn, R 8423 (Bismarck an Schweinitz, 26. Juni 1871). In diesem Zusammenhang steht anscheinend auch der von Beust aus einem Brief Bismarcks an ihn hervorgehobenen Satz: „Ich habe in Eurer Excellenz stets meinen objektivsten und liebenswürdigsten Gegner verehrt.“ (vgl. dazu Beust: Aus Drei Viertel-Jahrhunderten. Bd. 2, S. 477). 85 Busch, Moritz: Tagebuchblätter, Bd. 2. Leipzig 1899, S. 280. 50 Der deutsche Kaiser sprach sich gegenüber Beust in gleicher Weise aus. (Beust: Aus Drei Viertel- Jahrhunderten. Bd. 2, S. 493 und 486). 91 Der Reichsratsabgeordnete Freiherr zu Weichs richtete an Kaiser Wilhelm ein Telegramm: „In tiefer Ehrerbietung senden wir dem Hort der Deutschen, dem Wiederhersteller des Deutschen Reiches, und seinem unvergleichlichen heldenhaften Heer unseren begeisterten deutschen Gruß. Im Namen zahlreicher deutscher Oberösterreicher“, worauf Kaiser Wilhelm mit warmen Worten Weichs und seinen Gesinnungsgenossen dankte. Schweinitz berichtete, welch ungünstigen Eindruck dies in Wien hervorrief. (Pol. Arch. A. A. Bonn, R 8423, Schweinitz an Bismarck, 20. Juli 1871). 265