Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)
FLÖTER, Jonas: „Wenn wir ihn stürzen können, so sollten wir es je eher je lieber thun, …“ Zum Verhältnis Bismarcks und des preußischen Gesandten in Wien zur ministeriellen Krise in Cisleithanien und zu Beusts Sturz (1869–1871)
Jonas Flöter war Beust notwendiger denn je geworden. Da er nach wie vor die einzige politische Persönlichkeit in der Habsburgermonarchie zu sein schien, die sowohl nach innen als auch nach außen eine prodeutsche Politik verfolgte, mußte dessen Unterstützung dringend angeraten sein. Allerdings zeigte sich sehr rasch, daß Bismarck über die von Beust überaus gewünschte moralische Unterstützung nicht hinauszugehen bereit war. Das Telegramm Kaiser Wilhelms an Zar Alexander anläßlich des Präliminarfriedens82 machte Wien deutlich, welche Stellung Österreich-Ungarn derzeit in Bismarcks Außenpolitik einnahm. In dieser Situation trat die besondere Bedeutung Schweinitzs für die Verbesserung der Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich um so mehr hervor. Zum einen honorierten Kaiser Franz Joseph und Beust dessen Bemühungen mit der Verleihung des Großkreuzes des Leopoldordens83, zum anderen kam es aufgrund des sich spürbar bessernden Verhältnisses zwischen Schweinitz und Beust zu einer Verstimmung Bismarcks, der Schweinitz als „zu österreichisch“ empfand84. Gleichwohl unterstrich Schweinitz erneut seine Überzeugung von der Bedeutung Beusts für die Verbesserung der preußisch-österreichischen Beziehungen und hob deshalb aus einem Gespräch mit ihm besonders hervor, daß in Österreich-Ungarn die Zahl derer groß sei, die keine guten Beziehungen zu Preußen wünschten. Außerdem wolle Beust im Gegensatz zu Ungarn keine feindliche Stellung Deutschlands bzw. Österreich-Ungams zu Rußland85 86. Somit wird verständlich, daß Mitteilungen in der deutschen Presse über die vermeintlich unsichere Stellung des österreichisch-ungarischen Reichskanzlers die Befürchtung vor „verhängnisvollen Complicationen“ der deutsch-österreichisch- ungarischen Beziehungen ansteigen ließ. Ein durch den Kaiser bestätigtes Pressedementi Beusts wirkte daher allgemein beruhigend85. Folglich konnte Bismarck zu jener Zeit einer personellen Veränderung am Ballhausplatz nur wenig Sympathien abgewinnen. Auf die Bemerkung des Generals von der Gablenz87, daß mit keiner langen Dauer des Beustschen Systems mehr zu rechnen sei und seiner Meinung nach 82 „Nie wird Preußen vergessen, daß es Ihnen verdankt, daß der Krieg nicht äußerste Dimensionen angenommen hat. Gott segne Sie dafür! Ihr fürs Leben dankbarer Wilhelm.“ (Schweinitz: Denkwürdigkeiten. Bd. 1, S. 288). 83 Schweinitz meinte selbst, daß ihm eigentlich nur die Eiserne Krone zugestanden hätte. (Schweinitz: Denkwürdigkeiten. Bd. 1, S. 289). 84 Lutz: Österreich-Ungarn und die Gründung des Deutschen Reiches, S. 427. 85 Pol. Arch. A. A. Bonn, R 8423 (Schweinitz an Bismarck, 2. März 1871). 86 Lippe an Beust, 28. März 1871, zit. nach Lutz: Österreich-Ungarn und die Gründung des Deutschen Reiches, S. 427. 87 General von der Gablenz wurde offiziell zur Einweihung des Denkmals für Friedrich Wilhelm III. nach Berlin entsandt (Pol. Arch. A. A. Bonn, R 8423, Bismarck an Schweinitz, 12. Juni 1871), von preußischer Seite aber als offizieller Vertreter Österreich-Ungams behandelt und nahm als solcher an allen Siegesfeierlichkeiten teil. Der Beustsche Vorschlag der Entsendung des Generals von der Gablenz war sehr geschickt, da Gablenz gemeinsam mit Preußen 1864 in Dänemark kämpfte und so zum Symbol der preußisch-österreichischen Zusammenarbeit wurde, einer Zusammenarbeit, die Kaiser Wilhelm besonders schätzte. 264