Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)
FLÖTER, Jonas: „Wenn wir ihn stürzen können, so sollten wir es je eher je lieber thun, …“ Zum Verhältnis Bismarcks und des preußischen Gesandten in Wien zur ministeriellen Krise in Cisleithanien und zu Beusts Sturz (1869–1871)
.Wenn wir ihn stürzen können, so sollten wir es je eher je lieber thun ... des Ministeriums Hohenwart-Schäffle auszugehen. Von österreichischer Seite wäre allerdings zu bedenken gewesen, ob nicht ein vertrauensvolles und ehrliches Freundschaftsverhältnis mit Deutschland zum Schutz gegen diese angebliche Gefahr günstiger gewesen wäre. „Jedenfalls wird es richtig sein, das neue Ministerium nicht von vornherein als ein gegen uns gerichtetes aufzufassen oder zu behandeln.“78 79 Die Notwendigkeit einer Unterstützung Beusts wurde Bismarck vor allem dadurch erleichtert, da in jener Zeit sowohl für Preußen als auch für Österreich-Ungarn eine Verbesserung der Beziehungen unerläßlich war und freundschaftliche Bekundungen keine konkreten politischen Zusagen durch Preußen notwendig machten. Dies galt auch für den Besuch des kaiserlichen Generaladjutanten, Graf Bellegarde, im März 1871 in Berlin. Beust hatte bei Schweinitz im Zusammenhang mit den zu erwartenden Siegesfeierlichkeiten die Entsendung des Kommandierenden in Ungarn, General von der Gablenz, in die neue deutsche Hauptstadt angeregt und zugleich unterstrichen, daß die Entsendung eines Erzherzogs derzeit noch nicht angemessen wäre. Bismarck reagierte auf den Vorschlag Beusts sehr entgegenkommend75, und der Entschluß Kaiser Franz Josephs, anläßlich des Geburtstags Wilhelm I. am 22. März 1871 seinen Generaladjutanten zur Überbringung des Glückwunschschreibens zu entsenden, löste allseitige Befriedigung aus. Aufgrund des in Cislei- thanien politisch vordringenden Slawentums zeige die Entsendung Bellegardes, so Schweinitz, daß der Kaiser sich nicht von der Politik Beust-Andrässy abdrängen lasse. Diese Wahl sei besonders glücklich und übertreffe alle Erwartungen, da Bellegarde als einziger den Mut besäße, dem Kaiser unumwunden seine Eindrücke aus Berlin mitzuteilen. Schweinitz war klar, daß Bellegarde für die Verbesserung der Beziehungen dienlicher sein werde, als es derzeit ein Erzherzog sein könnte80. Diesen Wink des Wiener Gesandten aufgreifend, regte Bismarck zum ersten Mal ein persönliches Treffen mit Beust an und schlug vor, die jeweiligen Gesandtschaften in den Rang von Botschaften zu erheben81. Bismarcks Haltung gegenüber dem österreichisch-ungarischen Reichskanzler hatte sich somit gewandelt. Von einem Sturz konnte keine Rede mehr sein. Für die Annäherung zwischen Berlin und Wien 78 Vor dem Hintergrund der noch immer vorhandenen Gefahr des Eingreifens der Neutralen in die Prälimi- narffiedensverhandlungen zugunsten des europäischen Gleichgewichts deutete Bismarck an, daß auch England, das derzeit besondere Sympathien für Frankreich entwickelt habe, in Wien bei der Errichtung eines Ministeriums mitgewirkt haben könnte. (Bismarck: Die gesammelten Werke. Bd. 6b, S. 699, Nr. 2040, Bismarck an Schweinitz, 15. Februar 1871) Obwohl Bismarck die Frage des europäischen Gleichgewichts in Betracht zog, betonte er besonders die daraus für Cisleithanien hervorgehende innenpolitische Bedeutung der Berufung des Ministeriums Hohenwart-Schäffle. Damit wird deutlich, daß Bismarck im Februar 1871 das Ministerium Hohenwart-Schäffle keineswegs als „prinzipiell gegen Preußen- Deutschland gerichtet“ einschätzte (Kletecka: Der Ausgleichsversuch des Ministeriums Hohenwart- Schäffle, S. 46). 79 Bismarck schrieb an Schweinitzs Bericht die Randbemerkung: „mit Ansicht völlig einverstanden; Sendung politisch] willkommen - Zeitpunkt fraglich; ev[entuell] Geburtstag d[es] Königs, spätere Feierlichkeiten harren noch Bestimmung.“ (Pol. Arch. A. A. Bonn, R 8423, Schweinitz an Bismarck, 14. März 1871). 80 Pol. Arch. A. A Bonn, R 8423 (Schweinitz an Bismarck, 21. März 1871). 81 Bismarck unternahm diesen Schritt allerdings im Gleichklang mit Rußland, forderte von Österreich- Ungarn aber einen Gesandtenwechsel und wünschte den bereits vor 1866 akkreditierten Grafen Károlyi. (Lutz: Österreich-Ungarn und die Gründung des Deutschen Reiches, S. 446). 263