Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 45. (1997)
ERNST, Hildegard: Geheimschriften im diplomatischen Briefwechsel zwischen Wien, Madrid und Brüssel 1635–1642
Kryptologie hat, schon nach dem ersten Einbruch in den Code durch Ausprobieren von verschiedenen Systemen zum Ziel kommen kann. Weitere Möglichkeiten, ein Schreiben zu „entziffern“, bieten sich durch die unterschiedliche Anwendungsweise der einzelnen Codes durch die Ziffemsekretäre. Einige habe ich bereits in Teil I dieses Beitrags erwähnt. Sie treffen mehr oder weniger auch auf die mit E und F verschlüsselten Papiere zu. Ich möchte diese Beobachtungen noch etwas vertiefen mit dem Ziel, dem Historiker, der einen Code rekonstruieren oder „knacken“ will, weitere Hilfen zu geben. Anhand von den mit Hilfe von dechiffrierten Teilen rekonstruierten Schlüsseln E und F soll untersucht werden, wieweit einige kryptoanalyti- sche Methoden auf den diplomatischen Schriftwechsel des 17. Jahrhunderts anwendbar sind. In einem später folgenden Beitrag sollen Kryptogramme, deren Code nicht mit Hilfe von zeitgenössischen Auflösungen rekonstruiert werden kann, entziffert werden. Das Rateverfahren Wie bereits in Teil I angedeutet, kann man man, wenn der Text nur teilweise verschlüsselt ist, versuchen, Wörter, die vor oder nach einem Klartextteil erscheinen, zu erraten und die so gefundenen Bedeutungen an anderen Stellen ausprobieren. Im Falle eines mit Code F verschlüsselten Schreibens (Text a. Es handelt sich um die Zusammenfassung eines Berichtes von Melho, der für Carretto codiert wurde)5 bieten sich als Ansatzpunkt einige im Klartext geschriebene Zahlen an. Sie sind deutlich als solche zu erkennen, weil sie viel größer geschrieben sind als die Geheimzahlen bzw. mit dem Zeichen m für „-tausend“ versehen wurden. Auf den letzten beiden Seiten des Berichts finden sich im verschlüsselten Text verstreut folgende Stellen: Geheimschriften im diplomatischen Briefwechsel zwischen Wien, Madrid und Brüssel m 240 35 17 27 27 184 m 130 228 t 184 m 50 35 17 + + 184 m 25 35 17 ♦ # // m 30 35 17 t « // m 235 35 17 * * 21 // m 100 35 17 + # // m 335 35 17 t # // Die Angaben ähneln sich auffallend und man kann vermuten, daß es sich immer um dasselbe Wort handelt. Da sich die Klartextzahlen im Bereich zwischen 25 000 und 335 000 bewegen und es sich ab Zeile 2 offensichtlich um eine Addition handelt, liegt es nahe, daß es um Geld geht. In Wien rechnete man vorwiegend mit Gulden oder Talern. Beide Wörter würden von der Anzahl ihrer Buchstaben her zu dem fraglichen Geheimtext passen (der Taler als Thaler oder Taller), wenn man annimmt, daß 184 und 228 je eine zweistellige Silbe bedeuten. Da in dem Wort aber 5 HHStA Wien, Kriegsakten 144, fol. 77-81. Die Abb. 1 zeigt fol. 80v. 211