Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 44. (1996)

ANGELOW, Jürgen: Der Zweibund zwischen politischer Auf- und militärischer Abwertung (1909-1914). Zum Konflikt von Ziel, Mittel und Struktur in Militärbündnissen

Der Zweibund zwischen politischer Aufwertung und militärischer Abwertung vollkommen beipflichten zu können88. Ein weiterer Kontakt Schlieffens mit Stürgkh im März 1901 betraf die russischen Probemobilisierungen längs der deutschen und eines Teiles der galizischen Grenze89. Weitere Eintragungen Becks über operative Besprechungen mit dem deutschen Generalstabschef fan­den sich in den Akten nicht. Die militärischen Kontakte beider Zweibundpartner beschränkten sich nicht auf die Generalstabschefs. Zwischen 1889 und 1895 waren darüber hinaus min­destens ihre Stellvertreter, die Militärattachös, die Chefs des Operationsbureaus bzw. des Oberquartiermeisterstabes sowie der Generalinspekteur der österrei­chisch-ungarischen Armee involviert. Auf der mittleren und unteren Ebene dagegen konnten nur wenige Berührungsflächen zwischen beiden verbündeten Armeen nachgewiesen werden, die nicht über das Maß miteinander nicht ver­bündeter Staaten hinausgingen90. In den Gesprächen auf der höheren militäri­schen Entscheidungsebene wurden indes eminent politische Themen berührt, wie die Definition des casus belli. Damit überschritten die militärischen Ent­scheidungsträger eindeutig ihre Kompetenzen. Weiterhin wird deutlich, daß die von Bismarck verfügte und durch die politische Führung kontrollierbare Schiene über die Botschafter und das Auswärtige Amt durch die Militärs - die direkte Kontakte untereinander und im Deutschen Reich auch zum Kaiser unterhielten91 - permanent unterlaufen wurde. Diese Kontakte hatten jedoch zunächst noch keine gravierenden Folgen, da sie zu keiner grundlegenden Änderung der politi­schen Bündnisziele oder der militärischen Bündnisstruktur führten. Obwohl die Kontakte zwischen beiden Generalstäben - entgegen der bisher gültigen Forschungsmeinung - niemals völlig abrissen, wird Beck die erneute Konfrontation mit Schlieffen zur Herstellung einer auf realen Grundlagen basie­renden gemeinsamen Planung nicht als drängend empfunden haben, da sich das Verhältnis zwischen Wien und St. Petersburg seit 1897 spürbar verbessert hat­te92, so daß Kriegsplanungen gegen Rußland in den Hintergrund traten. Die Kommunikationen zwischen dem deutschen und dem österreichisch-ungarischen Generalstab hätten aber desungeachtet zu einer befriedigenden Eventualplanung führen können. Diese kam vor allem deshalb nicht zustande, weil Schlieffen - in Verkennung der militärischen Potentiale beider Monarchien - geradezu irreal auf den Gedanken der Offensive an beiden Fronten fixiert blieb. Mit der Verle­Joseph Graf Stürgkh an Friedrich Freiherm von Beck-Rzikowsky, Berlin, 28. März 1899, eben- da.fol. 151. 89 Tagebucheintragung Friedrich Freiherm von Beck-Rzikowskys um den 24. März 1901 siehe BA- MZA Potsdam, W-10, 50222, fol. 50 (R e g e n a u e r : Materialsammlung zur Darstellung der ope­rativen Verhandlungen; Tagebuch Beck, S. 2876). 90 Zwischen 1891 und 1914 konnten lediglich vier Kontakte ermittelt werden. Vgl. dazu Pol Arch AA Bonn, R 821. 91 Zum Gewicht der militärischen Nebendiplomatie, insbesondere zur ,Flügeladjutantenpolitik1 Wil­helms II. vgl. Deist, Wilhelm: Militär, Staat und Gesellschaft. Studien zur preußisch-deutschen Militärgeschichte. München 1991 (Studien zur Militärgeschichte 34), S. 19—41, hier S. 19-21. 92 Bridge: Österreich (-Ungam) unter den Großmächten, S. 293-314. 53

Next

/
Thumbnails
Contents