Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 44. (1996)

ANGELOW, Jürgen: Der Zweibund zwischen politischer Auf- und militärischer Abwertung (1909-1914). Zum Konflikt von Ziel, Mittel und Struktur in Militärbündnissen

Jürgen Angelow wie ursprünglich vorgesehen - östlich der Weichsel zu suchen, um die österrei­chisch-ungarische Position in Galizien zu verbessern. Nach komplizierten, von gesteigertem Mißtrauen geprägten Verhandlungen fand sich Schlieffen schließ­lich bereit, die ursprüngliche Planung aus den 80er Jahren zu akzeptieren83 - obwohl dieser Plan eines Angriffs unterlegener Kräfte von 400 km entfernten Grundlinien aus kaum Erfolgsaussichten besaß, weshalb er 1892/93 fallengelas­sen worden waren. Wohl um wenigstens nach außen die Fiktion einer im gün­stigsten Fall zu einer Vereinigung beider Heere in Polen führenden Offensive durch einen Stoß auf Siedlec aufrechtzuerhalten, nahm Beck diese Nachricht erfreut auf4. Beck scheint zumindest darüber zufrieden gewesen zu sein, wenig­stens den Plan vom 20. Mai 1895 umgestürzt zu haben. Seinem Tagebuch ver­traute er am 12. April 1896 an: „Demnach war nunmehr wieder auf die ur­sprünglichen Ideen des FM [Feldmarschalls] Moltke [d. Ä.] zurückgegangen worden, was mir auch günstiger erschien, als der eine Zeit lang in Aussicht genommene Aufmarsch in Preußisch-Schlesien“85. Im Nachtrag zu der im Janu­ar 1896 erzielten Einigung wurden bis Februar 1897 und später sogar noch im März 1899 Gespräche operativen Inhalts zwischen beiden verbündeten General­stäben geführt, die am mangelnden Realitätsgehalt der Absprache von 1896 jedoch nichts änderten86. So berichtete der österreichisch-ungarische Militäratta- ché in Berlin, Major Prinz Schönburg, am 5. Februar 1897, daß Schlieffen mit der seit 1897 gültigen österreichisch-ungarischen Aufmarschplanung gegen Rußland - von der noch die Rede sein wird - einverstanden sei, worauf Beck meinte: „Damit waren wir nun wieder so ziemlich auf den Standpunkt wie zur Zeit des GO [Generaloberst] Waldersee gekommen“87. Bei ihrer Begegnung am Rande des Manövers in Ungarn im September 1897 besprachen Beck und Schlieffen keine operativen Dinge mehr. Allerdings kam es noch einmal wäh­rend der Begegnung Schlieffens mit dem österreichisch-ungarischen Militär- attaché in Berlin, Major Joseph Graf Stürgkh, am 28. September 1899 zu einem operativen Meinungsaustausch, bei dessen Gelegenheit Schlieffen erklärte, den Ansichten Becks über die voraussichtliche Bestimmung einiger russischer Korps 83 Alfred Graf von Schlieffen an Friedrich Freiherr von Beck-Rzikowsky. Berlin, 17. Januar 1896 siehe BA-MZA Potsdam, W-10, 50222, fol. 123(Regenauer: Materialsammlung zur Darstellung der operativen Verhandlungen; Tagebuch Beck, S. 2546); Otto: Schlieffen und der Generalstab, S. 248 f. 84 Hobelt: Schlieffen, Beck, Potiorek und das Ende der gemeinsamen Aufmarschplanung, S. 23. Tagebucheintragung Friedrich Freiherm von Beck-Rzikowskys vom 12. April 1896 siehe BA-MZA Potsdam, W-10, 50222, fol. 44v, hier fol. 45 (Regenauer: Materialsammlung zur Darstellung der operativen Verhandlungen; Tagebuch Beck, S. 2567, 2568). 86 Vgl. BA-MZA Potsdam, W-10, 50222, fol. 41-48 und fol. 124-151 (Regenauer: Material- Sammlung zur Darstellung der operativen Verhandlungen). 87 Tagebucheintragung Friedrich Freiherm von Beck-Rzikowskys vom 5. Februar 1897 siehe BA- MZA Potsdam, W-10, 50222, fol. 47 (Regenauer: Materialsammlung zur Darstellung der ope­rativen Verhandlungen; Tagebuch Beck, S. 2637); Brief Fürst Schönburgs an Friedrich Freiherm von Beck-Rzikowsky. Berlin, 5. Februar 1897, ebenda, fol. 149v 52

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