Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 43. (1993) - Festschrift für Rudolf Neck zum 65. Geburtstag

GÖBL, Michael: Vom Judenplatz zur Wallnerstraße. Über die Anfänge des Allgemeinen Verwaltungsarchivs

Michael Gobi Reichskanzlei, der unter Ferdinand II. eingerichteten österreichischen Hofkanzlei, dann der böhmischen Hofkanzlei und des durch Maria The­resia an Stelle der beiden genannten Kanzleien gesetzte Directoriums in publicis et cameralibus, welches 1762 in die böhmisch-österreichische Hofkanzlei umgewandelt wurde. Diese Kanzlei bildete mit Ausnahme des Gebietes der ungarischen Krone unter verschiedenen Namen und öfter wechselnden Kompetenzen bis zum Jahre 1848 die oberste Zen­tralstelle der politischen Verwaltung. Der zweite Hauptbestand Polizeiarchiv umfaßt die Akten der von Jo­seph II. eingerichteten Staatspolizei und reicht von 1780 bis 1848, in welchem Jahr die Polizei- und Zensurhofstelle aufgelöst wurde.3) Eine weitere Gruppe von Archivmaterial steift das Adelsarchiv dar, das zwar im zuvor erwähnten Inventar wie eine archiveigene Bestands­gruppe behandelt wird, aber tatsächlich in enger Verbindung zur Ober­sten Adelsbehörde, dem Adelsdepartement im Ministerium des Innern, stand, und ein Behördenarchiv besonderer Prägung war.4) Das Adels­archiv war deshalb immer darauf bedacht seine Selbständigkeit vom übrigen Archiv des Innenministeriums zu behaupten. In einer Anfrage­beantwortung über die Archivverhältnisse beim Ministerium des Innern, im Jahr 1874, betont der Leiter des Adelsarchivs Franz Altmann, daß „das Adelsarchiv von dem allgemeinen Archiv getrennt und jedes einer selbständigen Leitung anvertraut ist“. Seine Sonderstellung sei auch ge­prägt durch den Umstand, daß „das allgemeine Archiv etwas abge­schlossenes sei“, während das Adelsarchiv „wol Acten längst vergan­gener Zeiten, aber auch Acten der Gegenwart enthält und fortwährend neue in sich aufnimmt“.5) 1. Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei Die räumliche Unterbringung des Allgemeinen Archivs war jedoch eine sehr unzureichende. Während das erwähnte Inventar die Situation nur unbestimmt umreißt, führt der damalige Direktor Heinrich Kretschmayr in einem Antrag um verbesserte Unterbringung, sowohl beim Präsidium des Innenministeriums als auch beim neugegründeten Min.f.öffentliche Arbeiten, die mißliche Lage der Archivdepots vor Augen. Die Bestände des Archivs waren auf fünf verschiedene räumlich auseinanderliegende 3) Thomas Fellner, Beschreibung und Aufgabenkreis des Archivs des Ministeriums des Innern, unveröffentliches Manuskript, datiert vom 21. Nov. 1894, AVA, Nachlaß- Splitter Fellner. 4) Walter Goldinger, Das ehemalige Adelsarchiv. In: MÖStA 13 (1960), 486-502, 486. 5) AVA, Min.d.Inneren, Präs., 2, ZI. 2059/1874. 22

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