Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 43. (1993) - Festschrift für Rudolf Neck zum 65. Geburtstag
GÖBL, Michael: Vom Judenplatz zur Wallnerstraße. Über die Anfänge des Allgemeinen Verwaltungsarchivs
MICHAEL GÖBL VOM JUDENPLATZ ZUR WALLNERSTRASSE. ÜBER DIE ANFÄNGE DES ALLGEMEINEN VERWALTUNGSARCHIVS. Eine Archivgeschichte pflegt für gewöhnlich mit jenem Tag zu beginnen, an dem entweder die Gründung eines Archivs erfolgt ist, oder an dem jene Registratur, die den Hauptfonds eines Archivs bildet, entstanden ist. In den meisten Fällen liegt die Entstehung des Archivgutes selbst jedoch weit vor dem eigentlichen „Geburtstag“ des Archivs. Geht man auf die Suche nach dem Gründungsdatum des Allgemeinen Verwaltungsarchivs, so wird man zuerst auf das Jahr 1945 stoßen, als aus dem Wiener Reichsarchiv das Österreichische Staatsarchiv, und aus der Abteilung Reichs- bzw. Staatsarchiv des Innern und der Justiz das Allgemeine Verwaltungsarchiv hervorgegangen war. Doch würde es dieser Institution wenig gerecht werden und auch kaum neue Informationen bieten, ließe man die Geschichte dieses Archivs erst dort beginnen, wo seine erste Namensnennung erfolgte (1945), bzw. wo seit der faktischen Neugliederung des Österreichischen Staatsarchivs im Jahre 1988, sein Schriftgut endet.1) Die Festlegung auf ein bestimmtes Gründungsdatum läßt sich deshalb so schwer bewerkstelligen, da alle Bestandsgruppen Altregistraturen von verschiedenen Ministerien (Justiz, Inneres, Landwirtschaft, Handel und Unterricht) darstellen, die ihrerseits mehr oder weniger eigene Entstehungsgeschichten besitzen. Über Anregung des k.k. Archivrates, in seiner Sitzung vom 28. März 1908, entstand die Reihe „Inventare österreichischer staatlicher Archive“. Als erste Publikation erschien das „Inventar des Allgemeinen Archivs des Ministeriums des Innern“ im Jahre 1909.2) Dem eigentlichen Inventar ist auch eine bis zum Erscheinungsjahr reichende Archivgeschichte vorangestellt, die die innere Organisation ebenso wie die zuletzt zugewachsenen Bestände umfaßt. Die beiden Hauptbestände des Allgemeinen Archivs waren damals das Schriftgut der Vereinigten Hofkanzlei und des Polizeiarchivs. Die Vereinigte Hofkanzlei ist entstanden aus dem Registraturmaterial der Maximilianischen und Ferdinandei- schen Hofkanzlei, der österreichischen Expedition der (deutschen) 1) Vgl. Michael Göbl, Das „neue“ Allgemeine Verwaltungsarchiv. In: Scrinium. Zeitschrift des Verbandes Österreichischer Archivare, Heft 43 (1990), 140-151. 2) Inventar des Allgemeinen Archivs des Ministeriums des Innern (= Inventare österreichischer staatlicher Archive, Bd. I, Wien 1909). 21