Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 43. (1993) - Festschrift für Rudolf Neck zum 65. Geburtstag

AUER, Leopold: Überlegungen zu einer Vereinheitlichung der Archivterminologie

Leopold Auer Terminus des Archivs beginnen. Nach der französischen Definition sind Archive vereinfacht ausgedrückt die Gesamtheit der Dokumente, die bei einer physischen oder juridischen Person auf Grund von deren Tätigkeit erwachsen sind. Aus dieser Archivdeflnition haben die Unesco und auch die letztlich gescheiterte UN Staatennachfolgekonferenz von 1983 ihren Archivbegriff entwickelt, letztere auf vier Sitzungen einer eigens dazu eingesetzten Arbeitsgruppe9). Trotzdem muß ein Archiv dieser Defini­tion in Frankreich erst archiviert werden, um - eventuell über den Weg eines Zwischenarchivs - ein echtes Archiv zu werden, weshalb man in der französischen Terminologie auch zwischen „archives courantes“ und „archives définitives“ unterscheidet. Im Gegensatz dazu sind im angelsächsischen Bereich „archives“ nur jener Teil der „non-current“ records, die zur dauernden Aufbewahrung bestimmt sind10). Ebenso ist man aus der Tradition der deutschen Archivwissenschaft und des deut­schen Sprachgebrauchs daran gewöhnt, Archiv und Registratur zu un­terscheiden, obwohl es an Beispielen für die Verwendung des Ausdrucks „Archiv“ im Sinn der französischen Definition nicht gänzlich fehlt. Ein anderes Beispiel ist der im Englischen und Französischen scheinbar identische Begriff der „conservation“, der in Wirklichkeit in dem einen Fall auf die Gesamtheit der Maßnahmen zur Erhaltung von Archivalien, im anderen lediglich auf Maßnahmen zu ihrer Restaurierung abzielt11). Eine Normung sollte solche Unstimmigkeiten nach Möglichkeit über­winden, auch im nationalen Bereich, wie dies etwa Michel Duchein am Beispiel Frankreichs gezeigt und gefordert hat12). Dabei darf man aber natürlich nicht vergessen, daß man selbstverständlich nur dort sinnvoll Terminologie normen kann, wo die ihr zugrunde liegende Praxis ge­normt ist. Gerade beim Archivwesen ist man nicht müde geworden im­mer wieder zu betonen, daß die Praxis hier von Land zu Land, ja inner­halb eines Landes, viel stärker differiert als in anderen Bereichen z. B. jenem der Bibliotheken. Das trifft sicher zu, wo es sich um alte Bestände handelt, die die Vielfalt vergangener Verwaltungstraditionen widerspie­geln, gilt aber nicht in dem selben Maß für modernes Verwaltungs­schriftgut. Die meisten Spezialisten haben eine Neigung, gerade ihr Fachgebiet als Sonderfall anzusehen. Das gilt sicher auch für Archivare, 9) Vgl. dazu Leopold Auer, Staatennachfolge bei Archiven, in: Archives et Biblio- théques de Belgique 57 (1986) 65f. 10) Auer, Archival Terminology Anm. 29. 11) Vgl. Sharon Gibbs Thibodeau, The Pitfalls of Terminology and Linguistic Bar­riers, in: Proceedings of the Third European Conference on Archives, Wien 1993 (im Druck). 12) Michel Duchein, Les archives dans la Tour de Babel: Problémes de terminologie archivistique internationale, in: La Gazette des archives 129 (1985) 107. 18

Next

/
Thumbnails
Contents