Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 41. (1990)

HEPPNER, Harald: Serbien im Jahre 1889 nach einem Bericht Ludwig von Thallóczy's

Harald Heppner König Aleksander ist ein allerliebster kleiner Rumäne67), der sehr gerne lacht, dem die Uniform gefällt, und [der] in puncto Herz gut zu sein scheint. Er ist sehr folgsam, aber empfindlich. Als verzärteltes Mut­tersöhnchen war er früher etwas faul und lernte nicht mit Lust. El­ternlos68) aber obliegt er fleissig seinen Studien und machte am 25. Juni sein Examen aus der deutschen Sprache und aus militärischen Gegen­ständen mit Vorzug. Sein Erzieher sagt - Herr Dokics, ein sehr gebilde­ter und rechtschaffener Mensch, der es mit König, Königin und Serben ehrlich meint - , der junge Herr hat eine rasche Auffassung, zeigt Vor­liebe für Geographie und Militärwesen, hat seinen eigenen Willen, be­obachtet gut und lügt nicht. Wenn er so, in dieser Richtung, weiterge­führt wird, kann aus ihm ein tüchtiger Mann werden. Nur ist der Junge sehr verschlossen; mir scheint er auch nervös zu sein, er blinzelt stets mit seinen Augen. Von der actualen Politik wird er fern gehalten, Nie­mand darf ihm über die Persönlichkeiten sprechen, welche das Heft in der Hand haben; „er muss ein demokratischer König werden ohne Vor- urtheile, gegen welch’ immer einen Menschen, Nation oder Religion“. Dies ist das Grundprinzip der Erziehung, wobei ich aber den traurigen Umstand erwähnen muss, dass der junge König, der eigentlich spielen sollte, gar keine Gesellschaft hat, den jungen Risztics ausgenommen, und sich unter den a priori ernsten Adjutanten und Erziehern entsetz­lich langweilt. Darum kann er kaum seinen Vater und seine Mutter erwarten69). Er schreibt beiden täglich und bekommt täglich Briefe von ihnen. Über die Hofsachen und laufenden Angelegenheiten berichten Dokics und Kerstits70) dem Könige. In dieser verworrenen Situation ist es wahrlich sehr schwer, den di­plomatischen Leitfaden zu gewinnen. Serbien ist ein Land, wo es von der Persönlichkeit des Gesandten abhängt, wie er sich die leitenden Persönlichkeiten zu gewinnen versteht. Es fällt mir schwer, über unse­ren gewesenen Gesandten71) ein abfälliges Urtheil sprechen zu müs­sen, aber Ehre der Wahrheit, er ist nach Aussage der Serben an Vielem schuld. Seine Fähigkeiten, seinen Geist heben Alle hervor, aber auch seine bewunderungswürdige Schroffheit und consequente Taktlosig­keit. Er lud Leute ein, über deren Ungeschicklichkeit im „fränkischen“ 67) Milans Mutter war Rumänin, er selbst in Marasesti/Walachei geboren; Natalie war russo-rumänischer Herkunft. 68) Beide Eltern befanden sich - getrennt - im Ausland. 69) Milan kehrte erstmals Ende Juli, Natalie vorübergehend Ende September 1889 nach Belgrad zurück. 70) Nikola Krstic (1829-1902), Rechtshistoriker, Verwaltungsjurist, bekleidete ver­schiedene Ämter, 1884-1894 Mitglied des Staatsrates. 71) Ladislaus Hengelmüller von Hengevár, 28. Februar 1881 - 30. Juli 1889 österrei­chisch-ungarischer Gesandter in Belgrad. 172

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