Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 41. (1990)
HEPPNER, Harald: Serbien im Jahre 1889 nach einem Bericht Ludwig von Thallóczy's
Serbien im Jahre 1889 Frage. Ein kleiner Teil der reichen Ernte seiner Aufzeichnungen hierüber ist bereits publiziert8). Es stellt sich die Frage, wie es zu diesem Bericht kam. Spätestens seit Mitte Mai 1889 wußte man in Wien von der Absicht der serbischen Regierung, den 500. Gedenktag der Schlacht am Kosovo polje feierlich zu begehen9). Ob eine Einladung aus Belgrad an die Ungarische Akademie der Wissenschaften erging, einen Vertreter nach Serbien zu entsenden, konnte nicht festgestellt werden; angesichts der damaligen Beschaffenheit der österreichisch-ungarisch-serbischen Beziehungen erscheint dies ziemlich zweifelhaft. Tatsache ist jedoch, daß Thallóczy nach außen hin als Vertreter der Ungarischen Akademie an den Festlichkeiten teilnahm. Im Bericht schreibt er, es sei „meine Absicht“ gewesen. Es gibt mehrere Indizien, die gegen die Annahme sprechen, es habe sich ausschließlich um einen wissenschaftlichen Besuch - quasi honoris causa - in Serbien gehandelt. Zunächst fallt auf, daß der Bericht nicht privater Natur ist, sondern an den damaligen Außenminister, Graf Kälnoky gerichtet ist. Weiters fällt auf, daß Thallóczy, wie aus seinem Bericht hervorgeht, am 20. Juni - vor seiner Abreise nach Serbien - mit Kälnoky eine Unterredung hatte, bei der unter anderem die Probleme mit den ungarischen Serben zur Sprache kamen. Hier sei angemerkt, daß der Außenminister verständlicherweise an nationalpolitischen Angelegenheiten lebhaften Anteil nahm und zeitweise Källay Einblicke in die die Südslawenfrage betreffenden Akten gewährte10). Schließlich ist bemerkenswert, daß der Reisende am 25. Juni von Belgrad aus an den ersten Sektionschef im Außenministerium Szögyény-Marich einen Brief schrieb, in dem er — noch vor den Feierlichkeiten - von seinen ersten Eindrücken berichtete und hinzufügte, daß er im Falle der Zustimmung des Außenministers auch länger als vorgesehen in Serbien bliebe11). Uetztlich ist es bemerkenswert, daß ein Beamter des Finanzministeriums diese Reise in der Eigenschaft eines Vertreters der Ungarischen Akademie der Wissenschaften unternahm, hinterher aber an den Außenminister berichtete. Stellt man diese Tatsachen der zeitgenössischen Presse und der diplomatischen Korrespondenz zwischen Wien und Belgrad gegenüber, sprechen sie sehr dafür, daß die Person Thal- löczy’s für die Wiener Politik eine geeignete Uösung bot, auf unverfängliche, d.h. offiziöse Weise in die innerserbischen Verhältnisse, die seit 8) Dr.Ludwig Thallöczy-Tagebücher sowie Ferdo Hauptmann Ein Reisebericht Dr. Ludwig Thallöczy’s aus Bosnien in MÖStA 13(1960) 404^150. 9) Hengeimüller an Kälnoky 18. Mai 1889, HHStA PA XIX K 24 (Berichte). 10) Ernst R. Rutkowski Gustav Graf Kälnoky. Eine biographische Skizze in MÖStA 14(1961) 341. 11) Thallóczy an Szögyény-Marich 25.Juni 1889 als Beilage zum Bericht (Siehe Anm. 1). 159