Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 41. (1990)

HEPPNER, Harald: Serbien im Jahre 1889 nach einem Bericht Ludwig von Thallóczy's

Harald Heppner der Abdankung König Milans dem Ballhausplatz in steigendem Maße Kopfzerbrechen bereitet hatten, Einblick zu nehmen. Daß es sich um eine offiziöse Angelegenheit handelte, mag auch daraus hervorgehen, daß Thallöczy während seines Aufenthaltes in Serbien die österrei­chisch-ungarische Gesandtschaft offenbar nicht kontaktierte. Seinen Ausführungen zufolge kehrte der Kundschafter am 8. Juli nach Wien zurück und legte Kálnoky alsbald mündlich seine Eindrücke dar; die schriftliche Version reichte er datiert mit 14. Juli nach. Der Wert der vorliegenden Quelle besteht in zweierlei: auf der einen Seite schildert der Berichterstatter eine Beihe wertvoller Details aus dem Ablauf seines Aufenthaltes, auf der anderen Seite zieht er bemer­kenswerte Schlüsse über die Lage in Serbien im Jahre 1889. Thallöczy’s Bericht ist in fünf Abschnitte zu untergliedern.Die Einleitung befaßt sich, quasi als Résumé im vornhinein, mit dem Resultat der gewonne­nen Eindrücke: Die scheinbar antiösterreichische Haltung der Serben wird deutlich abgeschwächt. Der gelernte Historiker ließ sich nicht von der Propagandafassade irritieren, sondern ging den Hintergründen der aufrührerischen Stimmung nach und kam zu dem Schluß, daß nicht so sehr die Abdankung Milans hierfür verantwortlich sei als vielmehr die neue Regierung der Radikalen, die nicht in der Lage war, die Zügel in der Hand zu behalten und jene Hoffnungen zu erfüllen, die das Volk in sie gesetzt hatte. Thallöczy begründet dies im zweiten Abschnitt damit, daß es an den erforderlichen starken „Köpfen“ mangle: allein Ristié hielt er für eine fähige Führungspersönlichkeit, die - zwar Führer der Liberalen, aber durch die Regentschaftsfunktion gebunden - ehestens Ordnung in Serbien zu schaffen fähig sei. Für Jovan -Baja als wichtigen Mann im Hintergrund fand der Berichterstatter warnende Worte; alle übrigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens schienen ihm alles andere denn bedeutend. Wohl aus der Kenntnis historischer Tradition heraus wollte Thallöczy nicht ausschließen, daß die damaligen Überle­gungen, die Armee zu einer Miliz umzuwandeln, Sprengstoff enthalten könnten; dann lägen Selbsthilfeaktionen revolutionär gestimmter Gruppen in der Luft. Der dritte Abschnitt widmet sich der Kosovo-Feier am 26. und 27. Juni (14. und 15. Juni nach orthodoxer Zeitrechnung), als der festliche Ein­zug in Krusevac, ein Gedenkrequiem und die Grundsteinlegung eines Kosovo-Monumentes stattfanden. Obwohl bei der äußerlichen Aufma­chung der Festlichkeiten und im Auftreten des Metropoliten Mihailo großserbische Akzente nicht zu übersehen waren, kam es zu keinen antiösterreichischen Kundgebungen. Bemerkenswert ist der Hinweis, daß der Zuzug an Schaulustigen bei weitem hinter den offiziellen Er­wartungen zurückblieb, sodaß der nationalen Komponente in der Ein­stellung des Volkes realiter nicht allzu hohe Bedeutung zukomme. Der 160

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