Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 41. (1990)
HEPPNER, Harald: Serbien im Jahre 1889 nach einem Bericht Ludwig von Thallóczy's
Harald Heppner rung hinzu, eine Gedenkfeier an die Schlacht am Amselfeld vorzubereiten, um das Publikum an das damals untergegangene serbische Großreich zu gemahnen, an dessen Größe die nationalen Kreise anknüpfen wollten. Es war daher kein Wunder, wenn Wien hinter dieser Feier den serbischen Revisionismus mutmaßte und sich folglich lebhaft dafür interessierte. Nun zum Autor des Berichts. Es ist merkwürdig, daß es zur Person Thallóczy noch immer nur wenige Unterlagen gibt6). Bis zu einem gewissen Grad läßt sich dies wohl damit erklären, daß Thallóczy nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit stand, sondern eher hinter den Kulissen wirkte; dennoch hatte er schon zu Lebzeiten einen weitreichenden Ruf. Daher ist es umso verwunderlicher, daß sich nicht zumindest die ungarische Geschichtswissenschaft seiner mehr angenommen hat, als dies tatsächlich der Fall ist. Sein Ruf beruht zu einem erheblichen Teil auf seinen Verdiensten um die ungarische Balkanforschung; als Historiker und Archivar nahm er sich vor allem der Fragen der Beziehungen zwischen Ungarn und den südslawischen Ländern während des Mittelalters an und besorgte auch eine Reihe von Quelleneditionen. Früh wurde ihm daher die Ehre zuteil, als korrespondierendes Mitglied in die Ungarische Akademie der Wissenschaften aufgenommen zu werden. Für die vorliegende Frage ist jedoch wichtiger, daß Benjamin Kállay, seit 1882 Gemeinsamer Finanzminister und gleichfalls Historiker mit Balkanerfahrung, Mitte der achtziger Jahre ihn nach Wien holte7), wo er die Leitung des Hofkammer- und Finanzarchivs übernahm. Thallóczy’s Tätigkeit beschränkte sich hinfort aber nicht auf den Archivdienst; seine Kenntnisse und die Einblicke in die bosnischen Angelegenheiten, die in die Kompetenz des Gemeinsamen Finanzministeriums fielen, machten ihn im Laufe der Jahre zu einem Spezialisten für die südslawische 6) Siehe die biographische Skizze samt Literatur von Georg Stadtmüller Thallóczy Lajos (Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteurpas 4, München 1981) 294 ff. In Ergänzung dazu die als Manuskript bestehende Arbeit von Márta Tömöry Thallóczy Lajos és a Balkán-kérdés (Ludwig Thallóczy und die Balkanfrage) Budapest 1978, die sich auf die Zeit ab 1903 bezieht sowie über Thallóczy als Historiker dieselbe, Thallóczy Lajos és az Országos Levéltár (Ludwig Thallóczy und das Ungarische Staatsarchiv) in Levéltári Közlemények 41(1976) 25-60 und Ferenz Glatz Történetiró és politika (Der Historiker und die Politik) Budapest 1980, 126-136; sowie derselbe Ungarische Historiker - Historiker der Habsburgermonarchie in Gesellschaft, Politik und Verwaltung in der Habsburgermonarchie 1830-1918 Budapest 1987, 1-11. Über die Herkunft Thallóczy’s, der ursprünglich „Strammer“ hieß, bei Elemer Mályusz Die vier Gebrüder Tallóci in Studia Slavica Hungarica XXVIII (1982) 3 ff. 7) Bei Stadtmüller Thallóczy 294 ist die Rede von 1884, bei Dr. Ludwig Thallóczy - Tagebücher 29. VI. 1914 -31.XU 1914, hg. von Ferdo Hauptmann und Anton Prasch (Graz 1981) I von 1885, im Hof- und Staatshandbuch der österreichisch-ungarischen Monarchie (Wien 1887) 24 von 1887, d. h. eventuell auch schon 1886. 158