Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 41. (1990)

HEPPNER, Harald: Serbien im Jahre 1889 nach einem Bericht Ludwig von Thallóczy's

Serbien im Jahre 1889 strich des äußeren Staatslebens, dort das Beharren rückständiger wirt­schaftlicher und sozialer Verhältnisse, hier national-expansive Tenden­zen, dort Mäßigung gegenüber dem Osmanenreich und Österreich-Un­garn3 4 5). Mit der für Wien nicht überraschenden Abdankung Milans im März 1889 stand die Frage offen, ob Serbien nicht eine Kehrtwendung ma­chen und sich dem mühsam aufgebauten Einfluß entziehen werde. Wohl auch aus Rücksicht gegenüber dem Hilfe suchenden Milan, vor allem aber, um den österreichisch-ungarischen Bedürfnissen nach Auf­rechterhaltung des Status quo zu dienen, sorgte der k. u. k. Außenmini­ster Kälnoky dafür, daß die wichtigste serbische Autorität nach Milan zu einer Fortsetzung des bisherigen politischen Kurses angehalten woirde: Die für den minderjährigen Alexander Obrenovic eingesetzte Regent­schaft, an deren Spitze Jovan Ristic, bislang Gegenspieler des Ballhaus­platzes stand, verpflichtete sich am 20. März insgeheim, den Bestim­mungen des österreichisch-ungarisch-serbischen Geheimvertrages von 1881 Folge zu leisten, die eine enge Bindung an die Donaumonarchie vorsahen4). Die Anzeichen, daß Theorie und Praxis auseinanderklafften, verdichte­ten sich im Frühjahr 1889 allerdings immer mehr. Die Presse in Serbien begann offen gegen Österreich-Ungarn zu agitieren; der in Wien als Ultranationaler gefürchtete Metropolit Mihailo durfte - rehabiliert - aus dem russischen Exil nach Belgrad zurückkehren; Besorgnis erre­gende Meldungen über den raschen Autoritätsverlust der von der Radi­kalen Volkspartei getragenen serbischen Regierung und über antimo­narchistische Töne unterstrichen den Eindruck, daß der Respekt vor der Donaumonarchie im Schwinden war und daß die Lage in Serbien immer undurchschaubarer wurde5). Für das Verständnis der Situation ist wichtig, daß der Geheimvertrag zwischen Serbien und Österreich- Ungarn damals in der serbischen Öffentlichkeit noch nicht bekannt war. Für die österreichisch-ungarische Politik stellte Serbien nicht nur ein außenpolitisches Problem dar, an dem die Rivalität zu Rußland zu messen war, sondern auch ein innenpolitisches Problem, da Serben ja auch im eigenen Bereich (Ungarn, Kroatien, Dalmatien, Bosnien-Her- zegovina) lebten. Schließlich kam noch der Plan der serbischen Regie­3) Als Überblick 2iv. Zivanovic Politicka istorija Srbije u drugojpolovini devetnae- stog veka (Politische Geschichte Serbiens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts) 2(1878-1889) Beograd 1924 und Michael B. Petrovich History of Modern Serbia 2(1868- 1918) New York/London 1976. 4) Hengetmüller an Kälnoky 20. März 1889, HHStA, PA I K 456 Liasse VI (Verhältnis mit Serbien 1888-1892). 5) Stefanovic-Vilovsky an Sektionschef Pasetti 27. Mai 1889 (HHStA PA XIX K 24 Varia de Serbie 1889). 157

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