Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)
AUER, Leopold: Historische Friedensforschung (Literaturbericht)
Rezensionen 467 Geschichte der Ersten Republik und unterliegt somit von vornherein schon nicht der Versuchung (wie etwa Lajos Kerekes, der in seiner Abenddämmerung einer Demokratie [1966] die sozialdemokratische Ideologie verteidigt und einer mehr oder minder undifferenziert gesehenen bürgerlichen gegenüberstellt), das diffizile innen- und außenpolitische Kräftespiel dieser zwanzig Jahre auf einige wenige Ursachen zu reduzieren; er setzt aber auch einen Schlußstrich unter die leider noch immer propagierte Legende vom „grünen Faschismus“. Die Gliederung des Werkes in einen chronologischen und einen analytischen Teil muß jedoch als weniger glücklich angesehen werden, da hiedurch zahlreiche Wiederholungen ebenso unvermeidlich werden wie die Nichtbeantwortung von Fragestellungen, die sich im ersten, chronologischen Teil ergeben: So etwa wäre es wünschenswert gewesen, die Kapitel über die „unklare Ideologie“, die „organisatorischen Mängel“ sowie die „Stellungnahme zu einzelnen politischweltanschaulichen Themen“ in die ereignisgeschichtliche Darstellung einzuarbeiten. Besser gelöst indes erscheint die Trennung der „Gesamtentwicklung der Heimwehr 1919 bis 1936“ von der darauf folgenden Gliederung in Bundesländer, wobei auch hier zahlreiche Sonderentwicklungen auf Landesebene - freilich bedingt durch den extrem föderalistischen Aufbau der Organisation - im Kapitel über die Gesamtentwicklung vorweggenommen sind. Gerade in diesem Kapitel, also noch lange bevor der Autor expressis verbis auf die weltanschauliche(n) Komponente(n) zu sprechen kommt, wird bereits die (von Rudolf Neck im Vorwort vertretene) These, daß die Heimwehr eine faschistische Bewegung dargestellt habe, ad absurdum geführt: Emst Nolte, unbestrittenermaßen einer der seriösesten Faschismusexperten, sieht die Faktoren einheitliche Führung, einheitliche Ideologie und Wille zur Macht mit allen Mitteln als Grundpfeiler der europäischen Faschismen an. Der „Heimwehr“ — einer „Bewegung“, die kaum über einen einheitlichen Namen verfügte! — ist davon, wie W. im chronologischen Teil herausarbeitet, bestenfalls der letztgenannte zuzuordnen - und auch hier gab es „Kompromißler“, wie etwa die Person Ludwig Hülgerths recht deutlich unterstreicht. Der Autor verdeutlicht in diesem ersten Teil den regionalen Partikularismus (z. B. Gegensatz Pfrimer — Steidle in der Frühzeit) ebenso wie den weltanschaulichen (nationaler - klerikaler Flügel). Daß der Heimatschutzgedanke, ursprünglich aus der Notwendigkeit des Selbstschutzes gegen revolutionäre (Wien, Tirol) und fremdnationale Aggressoren (Steiermark, Kärnten) geboren, der nach Zusammenbruch der staatlichen Exekutive 1918 zur Überlebensfrage geworden war, erst durch die austromarxistische Bedrohung der Jahre 1926/27 (Linzer Programm, Justizpalastbrand) in einen gewissen Radikalismus und ein damit verbundenes eigenständiges politisches Denken getrieben wurde, hat W. ebenfalls recht anschaulich dargestellt. Allerdings verfällt er hiebei nicht in den Fehler Kerekes’, dem Lippenbekenntnis einiger Heimwehrführer zum Faschismus italienischer Provenienz zu große Bedeutung beizumessen, sondern stellt an Hand diverser nicht wahrgenommener Gelegenheiten seitens der Heimwehrführung dar, daß diese niemals tatsächlich zu Putsch und gewaltsamer Verfassungsänderung bereit war, auch nicht, als ihr nationaler Flügel, die Steirer, den „Marsch auf Wien“ durchführen wollte. Es sei gerade die weltanschauliche Uneinigkeit gewesen, so W., die einen nachhaltigen Einfluß der Bewegung auf Österreichs Politik verhindert hätte, die sie letztlich, wie aus diesem sehr detaillierten chronologischen Abriß hervorgeht, bis zu ihrer Auflö30*