Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)
AUER, Leopold: Historische Friedensforschung (Literaturbericht)
Rezensionen 465 delt, die Fachleute und Publikum unter Bewältigungszwang setzt. Dem strikt apologetischen und zumeist mit deutlichen Verherrlichungstendenzen ausgestatteten Schwall von mehr oder minder wissenschaftlicher Weltkriegsliteratur der Zwischenkriegszeit hat die moderne österreichische Geschichtsforschung nur sehr wenig entgegenzusetzen. Die seltenen Publikationen befassen sich nahezu ausschließlich mit der Südwestfront, und hier wiederum handelt es sich - von wenigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen - zum größten Teil um Betrachtungen der Hochgebirgsfronten unter vornehmlich alpinistischen Aspekten. Eine solche Ausnahme stellt diese neue, profunde Arbeit über die Tätigkeit des Generalstabschefs Conrad gegenüber Italien dar, die bezeichnenderweise aus dem nordwestlichen Nachbarland stammt. Diese monumentale Dissertation eines pensionierten deutschen Grenzschutzobersten bietet wesentlich mehr, als der Titel vermuten läßt: einen klaren und konzisen Rückblick auf Vorgeschichte und Geschichte des Zwei- bis Dreibundes, seine Zielsetzungen, Imponderabilien und Krisen; die Wechselwirkung zwischen Innen- und Außenpolitik der Bündnisstaaten; ein nach Bismarcks Abgang außenpolitisch zunehmend isoliertes Deutsches Reich, ein von zentrifugalen Irredentismen gequältes Österreich-Ungarn und ein gar nicht homogener Nationalstaat Italien, der nach altbewährter Methode seine innenpolitischen Probleme durch Erfolge nach außen zu lösen sucht; die Wandlungen der außenpolitischen Grundlagen der Bündnisteilnehmer, die Österreich-Ungarn, das sich abgesehen von der Okkupation Bosniens und der Herzegowina einer rein konservierenden Politik befleißigt hatte, zum Ziel nachbarlicher Aspirationen werden ließ, nachdem Rußland in Ostasien, Italien in Afrika durch Niederlagen ihre außenpolitischen Ventile eingebüßt hatten. Hatte sich die Aera des Generalstabschefs Beck, der von P. durchaus positiv charakterisiert wird, als eine besonnene, rein defensive präsentiert, so forderte Conrad seit seinem Amtsantritt 1906 einen Präventivkrieg gegen Italien: Eine von Kaiser, Außenminister und Thronfolger abgelehnte Forderung, die einzig und allein durch die späteren Ereignisse ab 1914 ihre Berechtigung finden sollte. P. leistet bei der Erörterung von Conrads Friedenstätigkeit einen ganz gewichtigen Beitrag zur Conrad-Forschung, den wichtigsten wohl seit dem Erscheinen der apologetischen Conrad-Biographien Urbanskis und Regeles. Eine kritische Betrachtung der Conradschen Aufmarschpläne, die erstmals flexible Varianten gegen die verschiedenen Feindkombinationen einführten, schildert die Entwicklung des Zangenangriffes auf Italien vom Isonzo und aus Tirol. Conrad, der auch als Taktiker den verderblichen Offensivdrang propagierte, betrachtete als politisierender General par excellence einen Erfolg nach außen als einzige Möglichkeit zur Konsolidierung der Donaumonarchie, forderte 1911 sogar die Wiedergewinnung Venetiens bis zum Tagliamento als Kriegsziel. Daß er damit in der rein konservierenden Führung Österreich-Ungams völlig isoliert dastand, belegt schon die Tatsache, daß in Österreich-Ungarn im Gegensatz zu den anderen Großmächten zwischen 1908 und 1914 nur eine minimale Heeresvermehrung stattfand. Dieser Gegensatz zur zivilen Führung mündete 1911 schließlich im Sturz Conrads. Nach seiner Rückkehr 1912 fand er völlig veränderte Verhältnisse vor. Die Balkankrise überdeckte alles andere, es schien sich sogar eine Verständigungsmöglichkeit mit dem wieder in Nordafrika engagierten Italien abzuzeichnen, sodaß von den Präventivkriegsplänen gegen Italien keine Rede mehr war. Mitteilungen, Band 39 30