Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)

AUER, Leopold: Historische Friedensforschung (Literaturbericht)

464 Literaturberichte 1920 als deutschnational abzuqualifizieren. Gerade die praktische Landtags­arbeit nach 1920 zeigt aber, daß in dieser Zeit ein großes Maß an Entgegenkom­men vorhanden war. So waren z. B. die Abgeordneten der nationalsloweni­schen Partei stets in allen wichtigen Landtagsausschüssen vertreten, obwohl dies einer Zweimannfraktion aufgrund der Landesverfassung gar nicht zuge­standen wäre. Allerdings ist 'S. im allgemeinen in seinen Urteilen durchaus abwägend und führt auch Ursachen für die fortschreitende Assimilation der Volksgruppen an, die in polemischen Darstellungen meist übergangen werden. Ein Problem ist zweifelsohne die Tatsache, daß die Muttervölker aller österreichischen Volks­gruppen heute gesellschaftlichen Systemen unterliegen, die nur sehr geringe Attraktivität auszuüben vermögen. Dies und die politisch-ideologische Spal­tung der Volksgruppenorganisationen hat bei einer großen Anzahl von Volks­gruppenangehörigen schwerwiegende Identitätsprobleme hervorgerufen, die in politischen Umbruchszeiten (z. B. Kärnten 1918/20) regelrechte Assimila­tionsschübe auslösten. Daraus erklärt sich wohl auch, daß der größte Teil der Volksgruppenangehörigen schon seit der Ersten Republik völlig in die her­kömmlichen Parteien integriert ist und selbständige nationale Listen nur selten Wahlerfolge erzielen konnten. S’s Ausführungen, die in ihren letzten Abschnitten mehr und mehr zu einer Gegenwartsanalyse der Volksgruppen werden, ermöglichen einen sehr instruk­tiven Vergleich zwischen den vier behandelten Minderheiten (Wiener Tsche­chen, Kroaten und Madjaren im Burgenland, Kärntner Slowenen). S. weist mehrfach darauf hin, daß die traditionalere Sozialstruktur und ein gewisser Rückstand im Ausbildungsniveau, die sich in den Daten der Volkszählung 1971 teilweise noch widerspiegeln, größtenteils altersstrukturbedingt sind. So weist die jüngere Generation der Kärntner Slowenen aufgrund der überragenden Bedeutung des Slowenischen Gymnasiums heute ein höheres Ausbildungsni­veau auf als ihre deutschsprachigen Landsleute. Die zahlreichen Wunschkata­loge und „Operationskalender“ der verschiedenen Volksgruppenorganisatio­nen werden von S. ausführlich, zum Teil auch recht kritisch vorgeführt. Demgegenüber widmet er jedoch den tatsächlich erfolgten administrativen Maßnahmen und den konkreten Förderungen, welche die Volksgruppen erfah­ren, nur sehr geringen Raum. Trotz dieser kritischen Einwendungen gilt es freilich abschließend festzuhal­ten, daß die vorliegende Abhandlung bei aller Sympathie für den Untersu­chungsgegenstand doch um eine differenzierte und ausgewogene Darstellung bemüht ist; jeder, der sich mit historischen oder politischen Fragen der Volks­gruppen befaßt, wird in Zukunft zu diesem Buch greifen müssen. Wilhelm Wadi (Klagenfurt) Hans Jürgen Pantenius Der Angriffsgedanke gegen Italien bei Conrad von Hötzendorf. Ein Beitrag zur Koalitionskriegsführung im Ersten Weltkrieg (Dissertationen zur neue­ren Geschichte 15/1 und 15/11). Böhlau-Verlag, Köln-Wien 1984. 1312 S., 113 Pläne und Faks. Die Spärlichkeit der Publikationen über die Geschichte oder gar über militäri­sche Teilaspekte des Ersten Weltkrieges vermittelt den Eindruck, daß es sich beim Todeskampf des Vielvölkerstaates nicht um eine Geschichtsperiode han­

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