Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)

AUER, Leopold: Historische Friedensforschung (Literaturbericht)

Rezensionen 463 Madjaren und Tschechen jeweils mit ca. einem Achtel des Textes auskommen müssen. Dies soll jedoch nicht als Vorwurf an den Autor aufgefaßt werden, dem als gebürtigem Kärntner naturgemäß die Slowenen näherstehen, vielmehr ist dieses Kräfteverhältnis geradezu ein symptomatisches Spiegelbild für das unterschiedliche wissenschaftliche, publizistische und politische Interesse, das den einzelnen Volksgruppen in den letzten Jahrzehnten zuteil wurde. Mit großer Sorgfalt analysiert S. die Umgangssprachenerhebungen im Rahmen der Volkszählungen zwischen 1910 und 1971 und weist auf die Problematik der jeweils unterschiedlichen Definition des Kriteriums der sprachlichen Zugehö­rigkeit hin. Die von ihm geübte Kritik an den sich ständig wandelnden Entstehungsbedingungen dieser Daten ist sicher in vielem begründet, doch hat der Vf. bei seinem Versuch, alternative demographische Daten darzubieten, gegenüber den verschiedenen Privatzählungen der slowenischen Organisatio­nen (S. 47 ff), die nicht auf dem persönlichen Bekenntnis beruhten, sondern vielfach methodisch höchst zweifelhafte Hochrechnungen darstellen, entschie­den weniger kritische Distanz bekundet. Die vielen Tabellen in S’s Abhand­lung ermöglichen erstmals einen Vergleich der sozialen und kulturellen Ent­wicklung der österreichischen Volksgruppen im Verlauf des 20. Jahrhunderts aber auch untereinander. Auf eine Problematik sollte allerdings hingewiesen werden: S. vergleicht den Anteil der Bevölkerung mit verschiedenen Umgangs­sprachen an den einzelnen Wirtschaftssektoren, wobei er fast allgemein für die Angehörigen der Volksgruppen ungünstigere Werte ermittelt als für die Mehr­heitsbevölkerung, was auf eine gewisse soziale Rückständigkeit schließen läßt. Diese Rückständigkeit betrifft aber keineswegs nur die Angehörigen der Volksgruppe, sondern alle Bewohner der nationalgemischten Bereiche. Das gemischtsprachige Gebiet Kärntens z. B. ist aufgrund seiner geographischen Randlage und seiner historischen Entwicklung bezüglich seiner Wirtschaftsda­ten eben rückständiger als der Kärntner Zentralraum mit seinen beiden großen städtischen Zentren Klagenfurt und Villach. Hätte S. lediglich die Bevölkerung des gemischtsprachigen Gebietes analysiert, so wären zwischen deutsch- und slowenisch-sprachiger Bevölkerung kaum wesentliche Unterschiede bei den Wirtschafts- und Ausbildungsdaten zu finden gewesen. Naturgemäß kann ein Buch mit drucktechnisch komplizierten Tabellen nicht ohne geringe Fehler zustande kommen. So hat Wien z. B. nicht einen Akademikeranteil von 32% (S. 228), und die Kolonnen der Tabelle von Seite 202 wurden leider vertauscht wiedergegeben. Im zweiten Hauptabschnitt seines Buches versucht der Autor, die Ursachen für die fortschreitende Assimilation, von der alle Volksgruppen - allerdings in sehr unterschiedlichem Ausmaß - betroffen sind, aufzuspüren. Er macht deutlich, wie wenig bisher angewandte simple sozialökonomische Erklärungsmodelle oder auch angeblicher Assimilierungsdruck seitens des Mehrheitsvolkes hin­reichen, um die höchst unterschiedliche Entwicklung in benachbarten Ort­schaften oder in Gemeinden mit vergleichbarer Sozialstruktur zu erklären. Auf der Suche nach Erklärungsmodellen beruft sich der Vf. ausdrücklich auch auf jahrelang geführte Gespräche mit in Wien lebenden Volksgruppenangehörigen. Über diese Gesprächspartner dürften wohl einige jener pauschalkritischen Urteile, die S. über Angehörige des Mehrheitsvolkes bzw. über manche Verwal­tungsmaßnahmen abgibt, in die Darstellung eingeflossen sein. Gelegentlich erliegt z. B. auch S. der Versuchung, die gesamte Kärntner Landespolitik seit

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