Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)

AUER, Leopold: Historische Friedensforschung (Literaturbericht)

458 Literaturberichte (vordem bildeten einige jüdische und ukrainische, nicht eben polenfreundlich gesinnte Dissertanten die Ausnahme). In Polen mehren sich gerade in der jüngeren Vergangenheit die Beiträge - auch zur Geschichte der durch den Unterrichtsminister Madeyski verkörperten Konservativen, wobei fast von Arbeit zu Arbeit (so bei Rett Ludwikowski 1980, bei Michal Jaskólski 1981 oder bei Marcin Król 1985) die Leistung der Austrophilen - sie fehlten ab 1873 in keinem zisleithanischen Kabinett - mehr und mehr gewürdigt wird. Pauschal­verurteilungen des alten Österreich oder dessen polnischer Befürworter sind kaum mehr zu bemerken. Der österreichische Leser hat wesentlich mehr Nachholbedarf bezüglich einer echten urfd umfassenden, nicht allein Wien-zentrierten Geschichtsschau der Monarchie, d. h. an aufschlußreichen Darstellungen unter der Perspektive der nichtdeutschen Völker. Der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gebührt Anerkennung dafür, daß sie die vorliegende, flott geschriebene Disser­tation abgedruckt hat. Hoffentlich folgen noch weitere Arbeiten aus der Feder „ortskundiger“ Österreicher von heute. Der Griff zum unveröffentlichten Nachlaß Madeyskis, der, in polnischem Privatbesitz befindlich, den Forschern unbekannt geblieben war und ausführ­liche Notizen über wiederholte Gespräche des Ministers mit dem Kaiser zur Nationalitätenfrage und zur Alltagspolitik enthält, stellt das, wissenschaftlich gesehen, besondere Verdienst der Arbeit dar. Die Bibliographie zum Thema ist umfangreich, wenn auch keineswegs lückenlos. Eine typisch franzisko-josephinische Karriere war Madeyski beschieden: „vom romantisch-patriotischen Aufstandskämpfer des Jahres 1863 zum resignierten galizischen Provinznotar, vom Gründer einer liberal ausgerichteten Mittelpar­tei im galizischen Landtag zum aktiven Mitglied des konservativen Lagers der Stanczyken, vom Krakauer Universitätsprofessor zum österreichischen Unter­richtsminister und schließlich zum Mitglied des österreichischen Reichsge­richts“ (S. 8). Natürlich trat Madeyski für die polnische Selbstverwaltung in Galizien ein und hielt einen wohlgesicherten Einfluß der Polen am Wiener Hof, bei den Zentralbehörden und im Parlament für wichtig. Dem kurzsichtigen, weil realpolitisch nicht durchsetzbaren Verlangen nach einem unabhängigen polni­schen Staat, der sich ja nicht im luftleeren Raum, sondern im Kraftfeld Petersburgs und Berlins hätte behaupten müssen, stand Madeyski, wie auch seine liberalkonservativen, adeligen Gesinnungsgenossen, reserviert gegen­über. Von der Identität österreichischer Großmacht- und polnischer Partikularinteressen (die Monarchie als Schutzschild für die Polen) war er zutiefst überzeugt. Das Gefüge des Vielvölkerstaates durfte keinesfalls gefähr­det werden. In einem Atemzug konnte Madeyski den extremen Zentralismus strikt ablehnen (er bekämpfte während der Achtzigerjahre die Forderung nach der „deutschen Staatssprache“) und den extremen Föderalismus — zumal wenn sich durch ihn Deutsche von Slawen über Gebühr provoziert fühlten (so in Bezug auf Böhmen und die Untersteiermark, da er alldeutsches Schielen nach Preußen als besonders gefährlich betrachtete) - abzuschwächen versuchen. Tschechen wie Slowenen sollten sich frei entfalten, aber nur soweit, wie das absolut übergeordnete Interesse des Staatsganzen es zuließ. So glaubte er sich 1904 genötigt, für die Ablehnung der öffentlich-rechtlichen Stellung der tsche­chischen Volksschule in Wien durch das Reichsgericht zu sorgen.

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