Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)
AUER, Leopold: Historische Friedensforschung (Literaturbericht)
434 Literaturberichte schwankte. Zwei der Kapitel ließen (im 17. und 18. Jahrhundert) nur Hochadelige zu (Köln, Straßburg), die meisten, nämlich 15, waren gemischtadelig (Bamberg, Eichstätt, Hildesheim, Mainz, Münster, Osnabrück, Paderborn, Passau ab 1650, Salzburg, Speyer, Trier, Worms, Würzburg sowie die konfessionell gemischten in Halberstadt und Minden), zehn vorwiegend oberdeutsche waren schließlich gemeinständisch, freilich mit Tendenz zur Aristokratisierung im 18. Jahrhundert (Augsburg, Brixen, Chur, Freising, mit Einschränkung Konstanz, Basel, Lüttich, Regensburg, Trient und schließlich die vier katholischen Präbenden in Lübeck). Die Größe der Kapitel reichte von 60 Präbenden (Lüttich) bis zu sechs für residierende Domherren (Chur). Die insgesamt 120 Tabellen des dritten Bandes werden im zweiten („Vergleichende sozialgeschichtliche Untersuchungen“) ausgewertet. Die Ergebnisse sind auch für den Kenner der Materie zum großen Teil neu, manchmal überraschend, fast immer bemerkenswert. Etwa: Der durchschnittliche Anteil der Reichsritter und des landsässigen Niederadels in den Domkapiteln lag im Untersuchungszeitraum bei ca. 70%, der des Bürgertums hatte bei sinkender Tendenz einen Anteil von 10,6%, mehr als drei Viertel davon entfielen auf die Oberschicht. Der Anteil der Reichsfürsten fällt von 5% unter die 1%-Marke, die (alten) Reichsgrafen liegen bei ca. 7%. Statistisch erfaßt werden die Begrenzungen des Selbstergänzungsrechtes der Kapitel durch päpstliche und bischöfliche Provisionen, kaiserliche Preces und Resignationen „in favorem“, wobei überall eine Tendenz zum ausschließlichen Selbstergänzungsrecht zu erkennen ist. Reichsfürsten und (alte) Reichsgrafen gelangten meist durch päpstliche Provisionen in die ihnen reserviert gegenüberstehenden Kapitel, ähnliches gilt auch für die Bürgerlichen. Das Durchschnittsalter beim Eintritt lag bei den bürgerlichen Kanonikern, bedingt durch das von ihnen geforderte Universitätsstudium bei 33 Jahren, das der adeligen bei 13 bis 14 Jahren (ohne päpstliche Dispens konnte die Tonsur, Voraussetzung für die Aufnahme ins Kapitel, erst mit 14 Jahren empfangen werden). Nicht alle gewonnenen Werte sind eindeutig interpretierbar, manche gewinnen erst Interesse, wenn sie mit anderen Variablen in Beziehung gesetzt werden. Das gilt etwa für die durchschnittliche Verweildauer. Wichtig werden die Zahlen erst im Kontext: Je niedriger der Adelsrang, desto geringer die Neigung zur Resignation. Die Erkenntnis, daß jeder 25. Domherr die Chance hatte, Bischof zu werden, gewinnt erst Relief durch die Präzision: Die führenden Familien, die nur ein Drittel der Kanonikate innehatten, besetzten die Hälfte der Bischofsstühle. Auf einige weitere Ergebnisse sei noch hingewiesen: Bei den graduierten Domherren übertreffen zahlenmäßig bei starken regionalen Unterschieden die Kanonisten die Theologen von Anfang an mit steigender Tendenz; bei den Dignitären hingegen dominieren die Theologen. Bei den adeligen Domherren, die bei Aufnahme ins Kapitel nur ein zweijähriges Studium, aber keinen Abschluß vorweisen mußten, beträgt der Anteil der Graduierten weniger als 1%. Die meisten Domherren erlangten ihr Kanonikat in ihrer angestammten Region; eine Ausnahme bildete außer den beiden hochadeligen Kapiteln Köln und Straßburg zeitweise Speyer. Überraschend ist der im 18. Jahrhundert steigende Anteil der Österreicher (ohne Tiroler) in den Domkapiteln des Südens, besonders in Passau, wo sie zu Beginn des 18. Jahrhunderts 85% der Kanonikate erlangten, in Salzburg, aber auch in Augsburg, Eichstätt und Brixen. Auf eine höhere Zahl von Domkapiteln, auch auf entferntere, verteilt sich der böhmische Adel. „Daß dieser Prozeß völlig ungeplant verlaufen ist, läßt sich kaum denken, die Frage, inwieweit bei dieser gewalt- und geräuschlosen Eroberung der Reichskirche ,von unten’