Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)

AUER, Leopold: Historische Friedensforschung (Literaturbericht)

432 Literaturberichte Auch seine Nachfolger Johann und Johann Friedrich waren noch derselben Anschauung verpflichtet. Friedrichs hervorragende Stellung bei der Königs­wahl im Jahre 1519 wird eindrucksvoll gewürdigt und mit der Fiktion seiner Wahl zum König, die in der Literatur mehrfach behauptet wurde und gelegent­lich auch heute noch auftaucht (S. 218), aufgeräumt. Im Gegensatz zu diesem Engagement des Kurfürsten stehen sowohl das unter der Regierung Karls V. zu bemerkende zunehmende Desinteresse an Reichsfragen als auch seine Nichtbe­rücksichtigung durch den Kaiser bei vielen Entscheidungen. Dies ist aber nicht allein durch Alter und Krankheit zu erklären, wie L. treffend vermerkt (so S. 236). Leider hat die Autorin gerade in diesem Kapitel (Teil D) die vielen guten Ansätze nicht immer bis zu Ende geführt und gedacht; viele Fragen bleiben unbeantwortet. Auch wäre eine etwas kritischere Einstellung zu man­chen von Hermann Wiesflecker, dem Biographen Kaiser Maximilians I., über­nommenen Thesen und Darstellungen angebracht gewesen. Abschnitt E („Der Landesfürst“), der sich mit der Innen- und Außenpolitik (einschließlich der Familienpolitik) Sachsens unter der Regierung Friedrichs und seines Bruders Johann beschäftigt, erscheint kompakt und ist anschaulich. Die Autorin analysiert hier das Verhältnis der Wettiner zu ihren nächsten Verwandten, zu den durch Erbverbrüderung verbundenen Fürsten von Hessen, Brandenburg und Jülich, Friedrichs Stellung zu verschiedenen das Reich und Sachsen tangierenden Fragen, wie etwa zur Hildesheimer Stiftsfehde, zum Streit um Erfurt und Mühlhausen, um nur einige Probleme herauszugreifen, sowie seine Beziehungen zu den sächsischen Landständen (S. 308 ff) und zur Universität Wittenberg (S. 315 ff). Von großer Bedeutung war zweifellos auch die weitgehende finanzielle Unabhängigkeit Kursachsens, die das Land und seine Herren zu einem potentiellen Geldgeber der Habsburger machte. Abschnitt F („Der kurfürstliche Laienchrist“) scheint der wichtigste und wohl auch der am besten gelungene Teil des Buches, weil darin viel über die Person des Kurfürsten ausgesagt wird. L. entfaltet hier alle Facetten des religiösen Denkens Friedrichs, die Grundlagen seiner Frömmigkeit, die noch ganz dem mittelalterlichen Denken verhaftet sind (S. 337 ff), und die von ihm geübte Praxis, die durch Pilgerfahrten, Sammeln von Reliquien und auch durch Ablaßhandel gekennzeichnet (S. 342 ff), vielfach aber bereits durch politisches Denken beeinflußt und motiviert (S. 367 f) ist. Sie verfolgt minutiös die einzel­nen Stationen im Leben Luthers und des Kurfürsten ab 1517 (S. 383 ff), die enge Beziehung der beiden, ihren intensiven Briefwechsel, das Verhältnis Friedrichs zum Reformator und dessen Lehren. Leider werden die Handlungen des Kurfürsten ausschließlich als „weise“ und „gerecht“ interpretiert, sodaß daraus eine etwas einseitige Betrachtungsweise resultieren muß. L. ist in ihrer Darstellung noch ganz der protestantischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts verhaftet. Wenn sie, den Bericht Spalatins zitierend, davon spricht (S. 482), daß sich Friedrich auf dem Totenbett offen als dem Luthertum zugehörend erklärt habe, weil er die Communio sub utraque specie empfangen hat - Friedrich hatte sich bekanntlich niemals öffentlich zur Reformation bekannt -, so nimmt sie sich dadurch jede Möglichkeit, danach zu fragen, wie er sich in den folgenden Jahren zu den Auswirkungen der Reformation gestellt haben könnte, vor allem da seine „Lieblingskinder“ abgeschafft oder zerstört worden sind, wie etwa die katholische Messe und Liturgie, seine Reliquien­sammlung oder das Allerheiligenstift. „Entsprungene“ Mönche und Nonnen

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