Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)

AUER, Leopold: Historische Friedensforschung (Literaturbericht)

Rezensionen 423 Wolfgang Kirchhofer. Erinnerungen eines Wiener Bürgermeisters 1519-1522. Eingeleitet und hg. von Richard Perger (Österreich Archiv). Verlag für Geschichte und Politik, Wien 1984. 142 S. Die undurchsichtigen Verhältnisse in den Erblanden nach dem Tod Maximi­lians I., besonders die Wirren im Wiener Bereich, überfordern im Hinblick auf die primären Motive der Akteure und auf eine logische Verflechtung der dramatischen Vorkommnisse auch heute noch die Vorstellungskraft des Histo­rikers, der berechtigte Scheu vor der Anwendung deduzierter Mechanismen auf die (gar nicht so spärlichen) Quellen empfindet. Das Geschehen in großen Zügen ist zwar längst bekannt, in mindestens zwei Belangen aber befinden wir uns noch völlig im Ungewissen. Einmal hüllten sich, wie es scheint, die Erben Maximilians in ein die Wortführer des alten Regimentes nahezu lähmendes Schweigen; der Donnerschlag des Wiener Neustädter Blutgerichtes kam zwar nicht aus heiterem, jedoch aus einem allem Anschein nach eben noch mäßig bewölkten Himmel. Zum andern mangelte es bisher an Einsicht in den politi­schen Alltag der kritischen Phase und damit an Kenntnis der einzelnen, durch Machtstreben und Korruption, Erbitterung und Hysterie bestimmten, zur Radikalisierung der persönlichen, politischen (und sozialen?) Gegensätze füh­renden Schritte. Und gerade unter diesem Aspekt erweist sich die vorgestellte Quelle als wahre Fundgrube. Der Autor, Wolfgang Kirchhofer, Angehöriger einer alteingesessenen Wiener Familie, wurde 1518 zum Ratsherrn, 1519 zum Bürgermeister von Wien ge­wählt, 1521 war er wieder Ratsherr, dann Kirchmeister zu St. Stephan. Seine Lugubris historia de Austriacorum provincialium dissensione schildert detail­reich die Amtsführung von Bürgermeister und Rat während des konfliktgela­denen Zeitraumes (Januar 1519 bis Januar 1521, mit einem Nachtrag zu Juli/ August 1522 und Dokumenten vom Dezember 1522 und Februar 1523). Er­sichtlich werden daraus die amtlichen - allerdings durch eine Extremsituation zum Teil verfremdeten - Agenden, besonders aber das Kräftespiel zwischen städtischer Obrigkeit und den ständischen und Bürgerausschüssen, wobei erstere in zunehmendem Maße von politisch unreifen und instinktlosen, zuneh­mend zu Brutalität und irrationalen Aggressionen neigenden Kräften unter Druck gesetzt wurden. Wenngleich es wahrscheinlich ist, daß sich Kirchhofer damit eine Argumentationsbasis für seine Verantwortung vor dem Wiener Neustädter Tribunal schaffen wollte und seine Autorität gegenüber den Aus­schüssen in diesem Sinne unterbewertete (so der Editor S. 34 ff), bleibt der Quellenwert in den Details doch ungeschmälert. Richard Perger, der derzeit wohl beste Kenner der Wiener Stadtgeschichte der frühen Neuzeit, führt mit einer auch den interessierten Nichthistoriker berück­sichtigenden Sorgfalt knapp aber materialreich in die Vorgeschichte, Proble­matik und Quellenlage des Geschehens ein. Bei der Edition selbst ergaben sich allerdings beträchtliche Schwierigkeiten: Die in Band Y der Schönkirchner-Handschriften des Niederösterreichischen Landesar­chivs erhaltene Kopie, Grundlage der Edition, vor 1576 (wahrscheinlich nach dem Original) hergestellt, ist ohne Zweifel äußerst fehlerhaft, worauf P. (etwa S. 117 Anm. 432, wo das Fehlen eines ganzen Satzes oder Satzteiles konstatiert wird) gelegent­lich hinweist. Dieser Umstand würde nicht nur eine genaue Abschrift, sondern auch die Ausmerzung der gravierendsten und sinnstörendsten Fehler (soweit erkennbar), also eine Emendierung bzw., sofeme diese nicht möglich ist, eine klare Aussage zu jenen Stellen,

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