Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)
MIKOLETZKY, Lorenz: „Der Bauern Gott, der Bürger Not, des Adels Spott liegt auf den Tod“. Kaiser Josephs II. langes Sterben aus eigener und fremder Sicht
„DER BAUERN GOTT, DER BÜRGER NOT, DES ADELS SPOTT LIEGT AUF DEN TOD“ KAISER JOSEPHS II. LANGES STERBEN AUS EIGENER UND FREMDER SICHT Von Lorenz Mikoletzky Bei der Betrachtung der Alleinregierungszeit Kaiser Josephs II. wird die oftmals unbeschreibliche Hektik und Unruhe auffallen, mit der so manches in die Tat umgesetzt wurde, was als Idee noch nicht ganz ausgereift war. Vor allem in seinen letzten Lebensmonaten, als ihm bewußt geworden war, daß er nicht mehr lange leben würde, hat der Kaiser öfter als zuvor den zweiten Schritt vor den ersten gesetzt. In anderem Zusammenhang hat Sigmund Freud einmal gemeint: „Verrückte, Schwärmer, Träumer, Neurotiker und Geistesgestörte haben in der Geschichte der Menschheit immer eine große Rolle gespielt, und zwar nicht nur, wenn sie durch Geburt zufällig an die Macht kamen. Im allgemeinen richten sie großen Schaden an; aber nicht immer“ ‘). Soll und kann man den am 13. März 1741 geborenen ersten männlichen Sproß aus dem Haus Habsburg-Lothringen in eine dieser angeführten Kategorien einordnen? Von seinen Zeitgenossen wurde er oftmals als „verrückt“ bezeichnet. War er ein Träumer und Schwärmer, dessen Ideen, die in seinen Reformen Wirklichkeit wurden, wirklich so unbrauchbar waren? War er ein Neurotiker, dessen diverse Schwierigkeiten mit sich selbst schließlich zu seinen Krankheiten führten, wie etwa sein Bruder Leopold annahm? Eine Geistesstörung kann wohl ausgeschlossen werden. Andererseits darf man aber fragen, warum die oben angeführten Eigenschaften nicht auch bei einem Mann wie Joseph in der einen oder anderen Form sein Charakterbild zumindest in Ansätzen beeinflußt haben sollen. Krank war er sehr oft, ohne jedoch seinem Körper Schonung aufzuerlegen, und schon von 1788 an war der Kaiser eigentlich ein Sterbender, ohne daß dies so richtig erkannt wurde. Es war ein sehr langes und elendes Siechtum eines geistig bis zum letzten Atemzug voll präsenten Menschen. Joseph hatte „nicht das träge, kalte Blut der Habsburger, sondern das rasche, feurige“ seiner väterlichen Vorfahren in sich und legte einen ungeheuren Fleiß an den Tag, wobei seine Arbeitsfreude „stets die gleiche (war), ob er gesund oder krank“2). Die übermäßigen Anstrengungen, denen er sich oftmals aussetz') Pierre Accoce — Pierre Rentchnick Kranke machen Weltgeschichte (Rastatt 1981) 9. z) Paul von Mitrofanov Joseph II. Seine politische und kulturelle Tätigkeit (Wien - Leipzig 1910) 1 105.