Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)

AUER, Leopold: Möglichkeiten und Aufgaben einer Universalgeschichte

14 Leopold Auer Schichtsschreibung48) wie in neueren Theorien zur weltweiten kulturellen Ent­wicklung49). Es versteht sich von selbst, daß eine auch nur auf einer einigermaßen ausrei­chenden Literaturkenntnis — von der Quellenkenntnis ganz zu schweigen — beruhende faktenorientierte Darstellung des gesamten Verlaufs der Mensch­heitsgeschichte die Möglichkeiten eines einzelnen weit übersteigt50). Die Errei­chung eines derartigen Zieles bleibt den großen Gemeinschaftswerken Vorbe­halten; hingegen vermag ein einzelner sehr wohl die Grundlinien der Entwick­lung darzustellen, wie das mit wechselndem Erfolg und wechselnder Ausführ­lichkeit immer wieder versucht worden ist. Vor- und Nachteile beider Darstel­lungsformen liegen auf der Hand. Während die Sammelwerke und Handbücher zur Universalgeschichte oft nicht mehr als eine Aneinanderreihung einzelner Nationalgeschichten bieten, neigen Einzelverfasser häufig dazu, die Bedeutung der Verbindung zwischen den Kulturen zu überschätzen oder stark verkürzte Bezüge herzustellen. Der marxistische Historiker Werner Berthold hat dieses Dilemma einmal überspitzt folgendermaßen formuliert: „Entweder ein einzel­ner schreibt eine Weltgeschichte, und das Ergebnis ist eine unwissenschaftli­che Einheitlichkeit, oder mehrere Historiker gehen ans Werk, und das Resultat ist eine uneinheitliche Wissenschaftlichkeit“51). In beiden Fällen lassen sich jedoch relativ leicht Gegenbeispiele anführen. Sowohl bei der Unesco-Geschichte der Menschheit wie bei dem von Henri Berr herausgegebenen Sammelwerk L’Evolution de l’humanité52) stehen die einzel­nen Bände stark unter dem Einfluß der Gesamtkonzeption ihrer Herausgeber, während an diskussionswürdigen Einzelleistungen von Fachhistorikem neben Jacques Pirenne53) und Toynbee vor allem die Arbeiten einiger Orientalisten “) Sie hat zwar einerseits den periodisch nach der Abfolge der einzelnen Gesell­schaftsformen gegliederten Gesamtgeschichtsverlauf zum Gegenstand, doch steht die vergleichende Erforschung der Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur der Völker dabei im Vordergrund; Schulin Einleitung 43. 49) Vgl. etwa Homell Hart Kulturelle Entwicklung (wie oben Anm. 27) oder Rushton Coulborn Struktur und Prozeß im Aufstieg und Niedergang zivilisierter Gesellschaßen in Universalgeschichte (wie Anm. 5) 145-175. 50) Immerhin sei hier aber auf die beachtliche Leistung von Will und Ariel Durants The Story of Civilization (New York 1935 ff) hingewiesen, für die eine wissenschaftliche Würdigung noch aussteht. Auch wenn es sich bei ihrem Werk vordergründig um eine einfühlsame Schau der Menschheitsgeschichte handelt, müßten die ihr unausgesprochen zugrundeliegenden theoretischen Prämissen erst noch untersucht werden. Als eines der wenigen Beispiele einer Reaktion seitens der Fachzunft vgl. die Besprechung von Bd. 10 der deutschen Übersetzung durch Kurt Kluxen in HZ 212 (1971) 164 ff. 51) Werner Berthold Zu methodologischen Fragen einer wissenschaßlichen Weltge­schichtsforschung in Zeitschriß für Geschichtswissenschaß 9 (1961) 1845; zitiert nach Schulin Einleitung 25 Anm. 68. 52) Vgl. zu beiden die oben Anm. 5 angegebene Literatur. 53) Jacques Pirenne Les grands courants de l’histoire universelle 7 Bde (Paris 1944—56); vgl. Schulin Einleitung 20 f. Zu Einwänden vgl. Heinrich Fichtenau in HZ 200 (1965) 378 f. und G. Lef ebvre in Revue historique 209 (1953) 369 f.

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