Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)
AUER, Leopold: Möglichkeiten und Aufgaben einer Universalgeschichte
Universalgeschichte 11 den Keim zum Rückschritt in sich tragen, sofern nicht überhaupt Fortschritt in der einen mit Rückschritt in einer anderen Hinsicht erkauft werden muß31). Damit gelangt man aber relativ leicht von der Geschichte als Entfaltung des Fortschritts zu einem Bild zyklischer Wiederkehr und zu einer Auffassung der Weltgeschichte als einer Abfolge von Kulturen oder Perioden, die ihrerseits an eine Gesetzmäßigkeit von Aufstieg und Niedergang gebunden erscheinen. Auch für eine solche Vorstellung des Geschichtsablaufs, die bis zur Gegenwart ihre Anhänger findet32), lassen sich verschiedene Beobachtungen anführen. Unleugbar sind im weltgeschichtlichen Verlauf aufwärts und abwärts führende Tendenzen zu erkennen33); nicht zuletzt die Kunstgeschichte mit ihren Theorien über die Entstehung und Auflösung von Stilformen hat hier zusätzliche Argumente geliefert34). Die zuerst von Polybios in die historische Wissenschaft eingeführte Betrachtung der Universalgeschichte als einer Abfolge von Kulturen, deren jede eine Entwicklung von Aufstieg und Niedergang durchläuft, wurde unter dem Einfluß archäologischer, ethnologischer und prähistorischer Forschungen im vorigen Jahrhundert verstärkt aufgegriffen35). Mit ihrem Kulturpessimismus war sie ursprünglich eindeutig gegen die Lehre vom Fortschritt der Zivilisation gerichtet, doch hat Alfred Weber gezeigt, daß Kulturkreis- und Entwicklungstheorie in keinem echten Gegensatz zueinander stehen müssen, sondern vielmehr sehr wohl eine Wechselwirkung zwischen Fortschritt der Zivilisation im allgemeinen und zyklischer Kulturbewegung im einzelnen bestehen kann36 37). Seine Kulturgeschichte als Kultursoziologie3'') scheint ein zukunftsweisender Versuch, die beiden lange Zeit als Alternativen zum Teil heftig diskutierten Traditionen miteinander zu versöhnen. Weiterführend erwiesen sich auch die 31) Meier Fragen und Thesen 32 Anm. 52 und 63 Anm. 109. 32) Vgl. zur Niedergangsproblematik Alexander Dem and t Neuere Literatur zum Dekadenzproblem in HZ 241 (1985) 105-118 und Franz Hampl Das Problem des Kulturverfalles in universalhistorischer Sicht in Geschichte als kritische Wissenschaft 252-298. 33) Mit Verfallserscheinungen und deren Ursachen hat sich schon Aristoteles beschäftigt. Im 19. Jahrhundert sprachen Jean Paul, Friedrich Nietzsche und Jacob Burckhardt von einem fortwährenden Prozeß gleichzeitigen Aufblühens und Verwelkens; vgl. Hanns Leo Mikoletzky Zur Charakteristik Bruns von Querfurt in Festschrift zur Feier des zweihundertjährigen Bestandes des Haus-, Hof- und Staatsarchivs 1 (MÖStA Erg. 2/1, 1949) 378 und Demandt Dekadenzproblem 117 f. 34) Vgl. z. B. Hans Belting Vasari und die Folgen. Die Geschichte der Kunst als Prozeß? in Historische Prozesse (wie Anm. 10) 101 f, 113 f und 117 f. Daß allerdings auch in der Kunstgeschichte die Kategorien von Aufstieg und Niedergang nicht imumstritten sind, zeigt die Diskussion über die entgegengesetzten Positionen Jacob Burckhardts und Aloys Riegls bei der Beurteüung der spätantiken Kunst; vgl. Henri-Irénée Marrou Décadence romaine ou antiquité tardive? (Paris 1977) und Gerhard Rodenwaldt Zur Begrenzung und Gliederung der Spätantike in Zur Frage der Periodengrenze zwischen Altertum und Mittelalter, hg. von Paul E. Hübinger (Wege der Forschung 51, 1969) 83 ff. 35) Schulin Einleitung 36 f, der aber sowohl die antiken Vorbilder wie Giambattista Vico außer Acht läßt. 3e) Dreitzel Sozialer Wandel 77, 206 und 240. 37) Alfred Weber Kulturgeschichte als Kultursoziologie (München 21950).