Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)
AUER, Leopold: Möglichkeiten und Aufgaben einer Universalgeschichte
8 Leopold Auer veränderbarer Konvention und Sitte in die Abhängigkeit von der biologischen Natur des Menschen übergeht oder vielleicht auch sogar zu ihrer Veränderung beitragen kann1’). Es liegt auf der Hand, daß. der Ort der Grenzziehung zwischen diesen beiden Abhängigkeiten für die Beurteilung des Menschen als eines moralischen Wesens — man denke nur etwa an das Problem der Aggressivität - von allergrößter Bedeutung ist7 18 19). Die Umwelt, mit der sich der Mensch zur Verwirklichung seines Daseins auseinandersetzen muß, ist nicht zuletzt eine Umwelt von Mitmenschen. Alles menschliche Leben vollzieht sich normalerweise in Bezug auf irgendeine Art von Gemeinschaft, - ein Umstand, der nebenbei bemerkt auch erst die sinnvolle Anwendung des Begriffes „Typus“ ermöglicht, der nur vor dem Hintergrund einer sozialen Gruppe gedacht werden kann. Geschichte - und mehr noch Universalgeschichte — ist daher immer auch und in besonderem Maße Gesellschaftsgeschichte. So erweist sich menschliche Daseinsform zum Gutteil als Form menschlichen Zusammenlebens; seine Organisation, die Beziehung der einzelnen Glieder untereinander und zum Ganzen der Gesellschaft gilt es für eine Universalgeschichte als weiteren Gegenstand der Betrachtung festzuhalten. Das Sich-Auseinandersetzen des Menschen mit seiner Umwelt, zu dem auch die Form der Organisation menschlichen Zusammenlebens gehört, - auch wenn diese Auseinandersetzung selbst wieder, soweit wir sehen, von allem Anfang an bereits im Rahmen eines solchen Zusammenlebens stattgefunden hat, - äußert sich insgesamt in dem, was man gemeinhin als die kulturellen oder zivilisatorischen Leistungen des Menschen bezeichnet, sofern man diesen Begriff nur weit genug faßt, um darin gleichermaßen Denken und Handeln, geistige und materielle Kultur bzw. Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Religion und Kunst in ihren wechselseitigen Beziehungen - etwa im Sinne der Bedingtheiten Jacob Burckhardtsls) - einzuschließen. Den Bedingungen, Formen und der Ausbreitung menschlicher Zivilisation muß daher die besondere Aufmerksamkeit einer Universalgeschichte gelten. In diesem Zusammenhang ist l7) Insofern kann der Historiker nicht ohne weiteres auf die Einheit und Permanenz alles Menschlichen bauen. Vgl. zu diesem Problem neben Hampl (wie oben Anm. 15) Leopold Auer Zum Wahrheitsproblem in der Geschichte in MÖStA 25 (1972) 511 mit Anm. 30 und Rudolf Neck Von den Kategorien der historischen Vernunft ebenda 523 mit Anm. 38. ie) Eine Diskussion darüber hat sich in letzter Zeit vor allem in Anschluß an die Arbeiten von Konrad Lorenz zu diesem Problem entwickelt; vgl. A(lois) M. Becker und H(ans) Strotzka Kritik der Aggressionstheorien in Gewalt und Gewaltlosigkeit (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 4, 1977) 103 ff und Josef Rattner Aggression und menschliche Natur (Frankfurt 21973) 21 ff. 19) Jacob Burckhardt Weltgeschichtliche Betrachtungen (Pfullingen 1949), besonders die Abschnitte III/1-6, 113—198. - In diesem weitgefaßten Sinn versteht Zivilisation auch Norbert Elias Über den Prozeß der Zivilisation 1 (stw 158, Frankfurt 1976) X, der eine Theorie über den Zusammenhang zwischen dem langfristigen Wandel der menschlichen Individualstrukturen und dem langfristigen Wandel der Figurationen, die Menschen miteinander bilden, entwirft.