Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)

AUER, Leopold: Möglichkeiten und Aufgaben einer Universalgeschichte

Universalgeschichte 7 Verhältnis zur zwischenmenschlichen, natürlichen und übernatürlichen Um­welt im Lauf der Zeit gegeben haben u). Diese Reflexion übertrifft alle anderen ähnlichen Formen historischer Betrachtung dadurch, daß es auch hier der Blick auf das Ganze der Menschheit möglich macht, Aussagen über die dem Menschsein innewohnenden Möglichkeiten und Grenzen zu treffen und Typi­sches von Individuell-Einmaligem abzugrenzen12). Zu der Einsicht über den Menschen, die dadurch gewonnen werden kann, daß die Lebenden ihren Erfahrungsbereich in die Vergangenheit ausdehnen, kann die Beobachttang eines jeden Einzelschicksals beitragen, sei es als Vorbild, als Warnung oder einfach als Hintergrund, vor dem sich das eigene Leben deutli­cher abhebt. Es gibt Glücksfälle einer individuellen Lebensverwirklichung, die man nicht der Vergessenheit anheimfallen lassen möchte13). Sie alle ereignen sich aber nicht in einem Vakuum, sondern in einem Spannungsfeld von Bezie­hungen, durch die sie mehr oder weniger bewirkt werden, eben in der natürli­chen und sozialen Umwelt, die in jeder Frage nach dem einzelnen mitberück­sichtigt werden muß, sei es einfach als Medium, als Herausforderung, als fördernde oder hemmende Voraussetzung14). Die Frage nach den möglichen Daseinsformen des Menschen wird somit nicht zuletzt zu einer Frage nach der Wechselwirkung zwischen seiner veränderli­chen oder unveränderlichen Natur15) und den letztlich auch historisch beding­ten Umwelteinflüssen, also nach Lösungsvarianten unter bestimmten Umstän­den, deren Ergebnis sich in Menschentypen wie dem Angehörigen einer grie­chischen Polis, dem Nobilis der spätrömischen Aristokratie oder dem Durch­schnittsbürger der modernen europäischen und amerikanischen Konsumge­sellschaft manifestieren kann. Dabei darf jedoch nie außer Betracht bleiben, ob und wieviel Spielraum dem einzelnen bleibt, um sich von diesem Typus bis hin zu atypischen individuellen und damit einmaligen Lebensformen zu entfer­nen16). Indem Lebensformen als umweit- und damit eben als historisch bedingt erkannt werden, erhebt sich aber auch die Frage, wo diese Abhängigkeit von u) Jacob Burckhardt spricht in diesem Zusammenhang von Lebensgeschichte und Leidensgeschichte der Menschheit als eines Ganzen; vgl. Jörn Rüsen Die Uhr, der die Stunde schlägt. Geschichte als Prozeß der Kultur bei Jacob Burckhardt in Historische Prozesse 209. 12) Etwas, was z. B. auch Voltaire mit seinem Essai sur les moeurs et l’esprit des nations angestrebt hat. 13) Vgl. Jaspers Sinn der Geschichte 403, wo es heißt; „In der Geschichte tritt in einmaligen Schöpfungen, Durchbrüchen, Verwirklichungen zutage, was unwiederholbar und unersetzbar ist“. Ähnlich argumentiert Friedrich Nietzsche Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben mit seiner Forderung nach monumentalischer Historie; vgl. die Textwiedergabe in Deutsche Geschichtsphilosophie (wie Anm. 3) 338 ff. 14) An Überlegungen dieser Art hat bekanntlich Arnold Toynbee seine Formel von „challenge and response“ entwickelt; vgl. zu Toynbee unten Anm. 38. 15) Vgl. zu dieser Frage Franz Hampl Neuere deutsche Geschichtsdenker in kriti­scher Sicht in Geschichte als kritische Wissenschaft 99 f und unten Anm. 17. le) Vgl. zum Typus als Begriff der Geschichtswissenschaft Schieder Geschichte als Wissenschaft 46 f und 224.

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