Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)

AUER, Leopold: Möglichkeiten und Aufgaben einer Universalgeschichte

6 Leopold Auer Forderung, daß Universalgeschichte ihrem Begriff und Anspruch nach stets auf das Ganze der Menschheit gerichtet sein muß. Ihr Beobachtungsfeld er­streckt sich von den Anfängen des Menschen bis zur Gegenwart, über den gesamten von Menschen betretenen Raum, aber auch auf alle Bereiche des Menschseins; nicht zuletzt bedeutet die Hinwendung auf das Ganze eine Sehweise, die Geschichte der Menschheit als gemeinsamen Prozeß der Ent­wicklung aller Menschen begreift und die einzelnen Teile der Menschheit immer im Hinblick auf das Ganze betrachtet, um aus den Einzelerscheinungen die Frage nach ihrer Einheit und Gemeinsamkeit zu stellen. Ein derartiges Verständnis von Universalgeschichte bedarf keineswegs not­wendigerweise der Voraussetzung eines einheitlichen weltweiten Geschehens­zusammenhanges, weil sich, wie Ranke in seinem berühmten Essay über die großen Mächte sagt, gerade auch aus der Mannigfaltigkeit der einzelnen Wahrnehmungen für uns unwillkürlich eine Ansicht ihrer Einheit erhebt6), aber auch weil die Frage selbst, inwieweit die Geschichte der Menschheit in voneinander unabhängigen Entwicklungssträngen oder unter gegenseitiger Beeinflussung bis hin zu weltweiten Zusammenhängen verlaufen ist, bereits zu den Grundfragen einer Universalgeschichte gehört, die nur dann beantwortet werden können, wenn Universalgeschichte eben in zeitlicher und räumlicher Hinsicht auf das Ganze der Menschheit gerichtet ist7). Nur eine solche Betrach­tungsweise, hinter der auch eine Auffassung der Geschichte als eines letztlich unteilbaren Ganzen steht8), ermöglicht Fragestellungen, die über alle jene, die sich nur mit einem zeitlich oder räumlich begrenzten Ausschnitt der Mensch­heitsentwicklung beschäftigen, hinausführen9 10). Wie bei aller Geschichte geht es auch der Universalgeschichte um den Men­schen und seine Selbstverwirklichung1“), das heißt um die Art und Weise, wie der Mensch in der Auseinandersetzung mit seiner jeweiligen Umwelt den Entwurf seines Lebens, selbst gewählt oder nicht, festhält und entfaltet. Universalgeschichte bedeutet somit nicht zuletzt umfassende Reflexion auf den Wandel menschlicher Lebensformen, auf die Form, die Menschen ihrem 6) Theodor Schieder Geschichte als Wissenschaft (München-Wien z1968) 208. 7) Zu weiteren Begründungen im einzelnen vgl. Franz Hampl Universalhistorische Betrachtungsweise als Problem und Aufgabe in dsbe Geschichte als kritische Wissen­schaft, hg. von Ingomar Weiler, 1 (Darmstadt 1975) 132-181. 8) In diesem Sinn Frantiäek Graus Die Einheit der Geschichte in HZ 231 (1980) 631-649 und Jaspers Sinn der Geschichte 422. 9) Dazu gehören nicht zuletzt Phänomene der „longue durée“ wie Verhaltensweisen, Sozialstrukturen, Konjunkturzyklen, Klimaschwankungen oder Bevölkerungsentwick­lung; vgl. Georg G. Iggers Die „Annales“ und ihre Kritiker in HZ 219 (1974) 592 ff und Michael Erbe Zur neueren französischen Sozialgeschichtsforschung (Erträge der For­schung 110, 1979) 94 ff. 10) Von der Verwirklichung menschlicher Möglichkeiten als Gegenstand universalge­schichtlicher Betrachtung spricht auch Christian Meier Autonom-prozessuale Zusam­menhänge in der Vorgeschichte der griechischen Demokratie in Historische Prozesse (Beiträge zur Historik 2), hg. von Karl-Georg Faber und Christian Meier (dtv WR 4304, München 1978) 221.

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