Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)
SCHÖNFELLNER, Franz: Der Bund als Gesellschafter der WÖK in der Ersten Republik
Der Bund als Gesellschafter der WÖK 151 an mittellose Wiener abgegeben, bis Ende 1921 konnte die Zahl der in Betrieb stehenden Küchen auf 39 vermehrt werden. Der Umsatz stieg in diesem Jahr um mehr als das Doppelte auf 213 Millionen Kronen, was allerdings zum größten Teil eine Folge der Preissteigerungen war10). Auch das Personal wuchs von 450 Kräften im Jahr 1920 auf 680 per 31. Dezember 1921 an. Die Kunden dürften zunächst wie früher das Essen in eigenem Geschirr mitgenommen haben; am 18. April 1921 wurde in der Herrengasse 16 die erste Küche eröffnet, in der die Gäste ihre Mahlzeiten an „sauber gedeckten Tischen“ im Lokal einnehmen konnten. In der Folge wurden die Küchen nach und nach in diesem Sinn umgestaltet11). Zu Jahresbeginn 1923 waren 25 neugestaltete Küchen in Betrieb, die Mitteilosenausspeisung wurde mehr und mehr abgebaut und im August des Jahres endgültig eingestellt12). Freiverkauf und die Durchführung der Schul- und Kleinkinderausspeisung der Gemeinde Wien für Schulen und Horte waren nun die Aufgaben der WÖK. Organe der Gesellschaft waren laut Statuten die Generalversammlung, der Aufsichtsrat und drei Geschäftsführer. Sieben bis zehn Personen sollten in den Aufsichtsrat gewählt werden, wobei laut Geschäftsordnung die Entscheidungen zunächst innerhalb der beiden Vertretungsgruppen von Staat und Gemeinde getroffen wurden, die dann in der gemeinsamen Sitzung einstimmige Beschlüsse zu fällen hatten. Die Geschäftsführer waren einvemehmlich von den Gesellschaftern zu wählen und vertraten die WÖK kollektiv13). Hermann Deri, Generaldirektor der amtlichen Übemahmestelle für Vieh und Fleisch, Paul Margaretha, Direktor des Ersten Wiener Konsumvereins, und Hermann Reif, Vizepräsident der Kriegsgetreideanstalt, wurden 1919 zu Geschäftsführern bestellt - die Auswahl dieser Personen erfolgte unter dem Eindruck der enormen Probleme mit der Lebensmittelbeschaffung. Noch im Dezember wurde Paul Margaretha, der als Vertrauensmann der Gemeinde galt, vom Direktor der österreichischen Lebensmitteleinfuhrstelle Josef Vinzl abgelöst. Auch dieser wurde wenige Monate später, im April 1920, durch Dr. Franz Rottenberg, Generaldirektor der österreichischen Kontrollbank für Industrie und Handel, ersetzt14). Im November 1922 wurde Karl Hammerschlag zum leitenden Geschäftsführer bestellt, Hermann Deri wurde dabei als Vertrauensmann der Gemeinde, Dr. Rottenberg als Bundesvertreter bezeichnet. Hammerschlag sollte neutral sein, doch wurde er im Finanzministerium als eher der Gemeinde Wien zugeneigt eingeschätzt15). Die Nominierung einer gleichen Zahl von Aufsichtsratsmitgliedem und die „neutrale“ Stellung eines der drei Geschäftsführer sollten ein Gleichgewicht zwischen beiden Gesellschaftern in 10) Archiv der WIGAST, Wien III, Henneberggasse 2-4 (= WIGAST) Generalversammlungen 1920 Jänner 1, Bilanzen 1919, 1921 und 1923. u) FA Sonderlegung Dept. 23 Fasz. 23/1 (= Dept. 23) ZI. 33.129-23/1934. 12) WIGAST Bilanz 1923. 13) Sie waren gemeinsam mit den beiden Prokuristen zeichnungsberechtigt. 14) WIGAST Generalversammlungen 1920 April. 15) FA A.A. ZI. 58.468—11/1923. Dr. Rottenberg wurde 1923 von Sektionschef a. D. Dr. Binder abgelöst.