Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)

SCHÖNFELLNER, Franz: Der Bund als Gesellschafter der WÖK in der Ersten Republik

150 Franz Schönfellner „Amerikanische Hilfsaktion“ zu untersagen sei. Angeblich war sogar ein Ver­treter der Vienna Public Feeding in Jugoslawien unterwegs, um Lebensmittel aufzukaufen, und hatte sich dabei als Beauftragter der American Relief Admi­nistration ausgegeben. Den letzten Punkt konnte das Staatsamt für Volkser­nährung als Fehlinformation entkräften7), die beanstandeten Papiere wurden vernichtet, das Personal der Ausspeisungsstellen angewiesen, den Namen „Amerikanische Ausspeisungsaktion“ nicht mehr zu verwenden. Bei der Gründung der Gesellschaft waren Dr. Hermann Geist und Mr. Jerome Stonborough in den Aufsichtsrat gewählt worden. Dr. Geist wurde als „Chargé d’Affaires in Wien“ eingetragen, Stonborough als „Spezialrepräsentant der amerikanischen Fürsorgeanstalten in Wien“. Von Dr. Geist erwarteten die Gesellschafter, daß es ihm als Mitglied der American Relief Administration gelingen werde, die organisatorischen Mißstände in den Küchen zu beseitigen. Er dürfte weitreichende Vollmachten innerhalb der Vienna Public Feeding Ges. m. b. H. gehabt haben: Briefe der Gesellschaft trugen den Aufdruck „Office of Dr. Geist, American Advisor to the Austrian Government“8). Im Jänner 1920 forderte die amerikanische Kinderhilfsaktion zwei Schreibma­schinen und zwei Schreibtische von der Vienna Public Feeding zurück, eine Trennung der amerikanischen Vertreter von der Gesellschaft war also im Gange oder sogar schon vollzogen. Nähere Erklärungen fehlen, doch wurde im Laufe des Frühjahrs jede Verbindung abgebrochen; beide Herren schieden aus dem Aufsichtsrat aus. Die American Relief Administration distanzierte sich deutlich von Dr. Geist und stellte fest, daß er aus der Hilfsorganisation ausgeschieden und nur mehr einfacher amerikanischer Bürger sei. Auch Prof. Pirquet, der ein neues Küchensystem hatte einführen wollen, verließ den Aufsichtsrat der Gesellschaft9). Von seiten der amerikanischen Hilfsorganisa­tion wurde zudem erklärt, daß die Ausspeisung Erwachsener nicht zu ihren Aufgaben gehöre. Als Konsequenz der Intervention in der Präsidentschaftskanzlei wurde in einer außerordentlichen Generalversammlung vom 12. Mai 1920 der Firmentitel in „Wiener öffentliche Küchenbetriebsgesellschaft m. b. H.“ abgeändert. II Die Entwicklung der WÖK zu Beginn der zwanziger Jahre war zufriedenstel­lend. Im ersten Bilanzbericht der Gesellschaft für die kurze Geschäftsperiode 1919 wurde neben organisatorischen Problemen wie der Übernahme des Küchenpersonals vor allem die Fortführung der Mitteilosenausspeisung be­handelt. Anfang 1920 wurden von 20 Küchen zirka 40.000 Portionen pro Tag ’) FA A.A. ZI. 33.551-11/1920. Die Bezeichnungen Ausspeisungs- und Hilfsaktion wurden von der Vienna Public Feeding synonym verwendet. 8) AVA STAVE ZI. 54.914/1919, Beilage zum Konvolut Hilfsaktion Amerika im Fasz. 21. In einem dieser Briefe dankte die Vienna Public Feeding dem STAVE für die Zuweisung von fünf Waggons Hülsenfrüchten am 22. November 1919. 9) AVA STAVE Fasz. 125 ZI. 17.827/1920, 6.838/1920.

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