Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)
WOHLGEMUTH, Edith: Theodor von Sosnosky und sein Nachlaß
122 Edith Wohlgemuth kämpft als Feind seines Vaterlandes und den großen Versucher der deutschen Nationalität innerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie45)? Nun nannte er es Pangermanismus und machte sich nach seiner Art in einem Buchmanuskript Die deutsche Hypnose Luft. Es konnte nie gedruckt werden. Aber am 8. März 1938 diente es ihm als Selbstempfehlung, als er an den gewesenen US-Botschafter in Berlin, William Edward Dodd46), nach Chicago einen Brief mit der Bitte richtete, ihm den Weg zu einer seriösen, vielgelesenen Zeitung in den Vereinigten Staaten zu ebnen, die er mit Artikeln über die wahren Zustände in Österreich nach dem Berchtesgadener Abkommen sowie über das wahre Gesicht des Nationalsozialismus versorgen würde, damit die Weltöffentlichkeit erfahre, was sonst beschönigt oder verschwiegen werde, - auch beispielsweise in der Schweiz. Schon 1937 hätte er in der Contemporary Review verkündet, daß nur der Legitimismus die österreichische Unabhängigkeit retten könne, die bei einem Sieg des Nationalsozialismus unweigerlich verloren ginge. Sein Brief sollte als Schmerzensschrei eines alten österreichischen Patrioten und als letzter Versuch, die Welt zum Aufhorchen zu bringen, aufgefaßt werden. Da sich dieser Brief im Nachlaß findet und das Couvert die Spur davon trägt, daß eine Marke aufgeklebt und wieder abgelöst wurde, ist er wohl nie abgeschickt worden47). Was hätte er auch an den Märzereignissen 1938 noch ändern sollen? Sosnoskys Glaube an ein unsterbliches Österreich war aber nicht zu erschüttern. Er war überzeugt, daß sich der Nationalsozialismus im Konzert der Mächte, die Deutschlands natürliche Feinde waren, nicht werde halten können, und entwarf im Frühsommer 1939 eine Denkschrift über den politischen und sozialen Neubau eines wiedererstandenen Österreichs. Noch Ende 1942 beschäftigte er sich mit Ergänzungen und Verbesserungen dazu, voll Bangigkeit, den Tag der Befreiung und die Mitwirkung am Wiederaufbau nicht mehr erleben zu können48). Inzwischen hatte er eigentlich fassungslos den Ablauf der Ereignisse miterlebt. Einige wenige Tagebuchfragmente in seinem Nachlaß - die Menge der Eintragungen hatte er an einem sicheren Orte versteckt - geben Aufschluß über seine Stimmung und seine Lebensumstände49). Angesichts der deutschen militärischen Erfolge scheint er begierig nach jedem Zeichen von Defätismus im Volke ausgeschaut und mißmutig die Vorgänge immer wieder auf ihren möglichen 4ä) Robert A. Kann Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie 1 (Graz 21964) 61. “) 1869-1940. Dieser Professor für Geschichte an der Universität Chicago veröffentlichte ein Tagebuch über seine Botschafter-Zeit, das in deutscher Sprache 1964 in 3. Aufl. in Berlin unter dem Titel Diplomat auf heißem Boden erschien. 47) NIS Vn Katholikentag. 48) NIS XV Volksvertreter, darin Tagebuchblätter mit einer Eintragung vom 3. Dezember 1942. 49) Ebenda und Tagebuchblätter mit Eintragungen vom 3., 5. und 6. Juni 1940, sowie in Die ganz Gescheiten. Randglossen zum Spuke in Charlottenburg vom 31. Dezember 1941, 1. und 6. Jänner 1942.