Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)
WOHLGEMUTH, Edith: Theodor von Sosnosky und sein Nachlaß
Theodor von Sosnosky 121 Tragödie von Mayerling heranzukommen. Vergeblich natürlich, wie aus einem im Auftrag des jungen Grafen Taaffe an Sosnosky gerichteten Schreiben vom 23. Jänner 1926 hervorgeht40). Eine in sich geschlossene Zusammenstellung von Unterlagen, die Sosnosky zur Verfassung seines Franz-Ferdinand-Buches genützt haben mußte, gibt es im Nachlaß nicht41). Daß auch dem Berliner Hof Aufmersamkeit gewidmet wurde, ist nur folgerichtig, und der Teil eines ausgearbeiteten deutschen Manuskripts William II beweist, daß er mit einer größeren Arbeit seinen englischen Lesern dienen wollte42). Er schrieb übrigens immer nur in deutscher Sprache. Seine Texte wurden erst von seinen englischen Auftraggebern übersetzt. Sosnosky mit seiner Faszination von Politik und der inneren Gewißheit, zum Kommentator politischen Geschehens berufen zu sein, wäre nicht gewesen, der er war, hätte er nicht auch dem Tagesgeschehen seiner Zeit inner- und außerhalb Österreichs größte Aufmerksamkeit gewidmet. Seine Position war genau abgesteckt. Allem, was jenseits dieser Grenze stand, galt seine Skepsis. Dem Marxismus aber jeglicher Schattierung brachte er nur Aversion entgegen43). Das Aufkommen des Nationalsozialismus, auch des Faschismus in Italien, erschien ihm insofern verständlich, als diese Bewegungen eine Reaktion auf die Tendenzen der Umsturzzeit nach dem Kriege darstellten und gegen Sozialdemokratie und Judentum gerichtet waren. Dies bedeutete aber für einen schwarzgelb Gesinnten noch lange nicht, mit den Hakenkreuzlem eines Sinnes zu sein. Religiöse und staatsrechtliche Anschauungen trennten sie. Der Anschlußgedanke natürlich! Mochte Sosnosky dem Nationalsozialismus und dem Antisemitismus in den frühen zwanziger Jahren auch eine enorme Zukunft zubilligen, stellten diese Programmpunkte nach seiner Meinung in ihrer übertriebenen Ausformung eine Gefahr für die Bewegung dar, die er in Österreich nur von jungen, politisch unreifen Leuten und eigentlich führerlos getragen sah. Er vermutete, daß das Hakenkreuz noch für längere Zeit als markantes „Sternbild am politischen Himmel Österreichs sichtbar bleiben“ werde. Sein Antisemitismus richtete sich nie, das wurde schon gesagt, gegen den jüdischen Menschen, sondern gegen das Judentum, sofeme es ihm zerstörend und zersetzend erschien. Er ließ jenen seiner Vertreter* die Großes vor allem auf dem Gebiet von Kunst und Wissenschaft leisteten, volle Gerechtigkeit widerfahren und warnte davor, sie in eine Notwehrsituation zu treiben44). Nach der Machtergreifung des Nationalsozialismus in Deutschland war Sos- noskys ohnehin äußerst bedingte Verständnisbereitschaft rasch ganz erloschen, und er fand vor allem nach der Rohm-Affaire nur mehr harte Worte der Beurteilung. Hatte er nicht schon in seiner Jugend das Alldeutschtum be40) NIS HI. 41) Theodor Sosnosky Erzherzog Franz Ferdinand - der Erzherzog Thronfolger. Ein Lebensbild (Berlin und München 1929); Materialsammlungen NIS I und XV. 42) NIS H. 43) NIS IV. 44) Unter dem Pseudonym „Danubius“ Das Hakenkreuz in Österreich in Chicago Abendpost 1923 Mai 29; NIS VII.