Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)
WOHLGEMUTH, Edith: Theodor von Sosnosky und sein Nachlaß
118 Edith Wohlgemuth Die Balkan-Politik Österreich-Ungarns seit 1866, zwei Bände 1913-14, gehören in diesen Rahmen16). So war es naheliegend, das gleichfalls mit Sympathie aufgenommene Zeitungsprojekt auf einer Ebene aufzugreifen, die schon nicht mehr utopisch zu sein schien. Ein ausführliches Memorandum zur Gründung eines Reichsblattes aus dem Jahr 191317) bringt feurigen Tatendrang, Optimismus und recht konkrete Durchführungsvorstellungen zum Ausdruck. Die Schüsse von Sarajevo zerstörten diesen Traum. Doch mußte Sosnosky damals zu tiefst erschüttert auch eine persönliche Erwartung begraben: „...Was hatte ich an ihm [dem Erzherzog Thronfolger Franz Ferdinand] verloren! Meinen künftigen Kaiser, der mir — ich durfte es ohne eitle Anmaßung behaupten - wohlgesinnt gewesen, der mir dies bewiesen und dessen Anerkennung meiner historio- graphischen und publizistischen Arbeit mich für deren boshaftes Totgeschwiegenwerden durch die heimische Presse schadlos gehalten und mich getröstet hatte. Bestieg er dereinst den Thron, dann - so hatte ich gehofft und durfte es hoffen - würde ich ihm mit all meinen Kräften dienen, von derselben erhebenden Idee erfüllt, dasselbe große Ziel vor Augen: ein mächtiges, glückliches Österreich... “18). Der Glaube an Österreich war ihm aber nicht verloren gegangen. Paradoxerweise knüpfte er sogar an den ausbrechenden Krieg die verzweifelte Hoffnung, Österreich würde sich nach Jahren einer lethargischen Friedenspolitik seiner Kräfte besinnen19). Doch nur zu bald stand ihm die Wirklichkeit des Krieges vor Augen. Er schrieb als Berichterstatter für das Grazer Volksblatt und die Zeitung Kölnische Volkszeitung und Handelsblatt, gelegentlich auch für den Pester Lloyd, die Reichspost und die vom Berliner Lokalanzeiger herausgegebene Deutsche Kriegszeitung20) über Eindrücke von seinen Tiroler Frontfahrten sowie nachdenkliche Artikel über das Kriegsgeschehen, die nicht in die Kategorie von eigentlichen Berichten einzuordnen sind. Auch machte er sich Gedanken über die Berichterstattung im allgemeinen und reichte bereits 1915 beim Pressechef des Ministeriums des Äußern eine Denkschrift ein21), in der er deren verderbliches System der Beschönigung und Beschwichtigung ankreidete. Wie durfte man vom Volke Opfer verlangen, ohne ihm die Wahrheit zu sagen22)? Als dann die schreckliche Wahrheit eines verlorenen Krieges und verhängnisvoller Friedensschlüsse über die Mittelmächte hereinbrach, bot sich dem Kri16) Materialsammlungen in NIS II, VIII, IX, XI, XV. Über die wohlwollende Haltung des Thronfolgers gegenüber Sosnoskys Publikationen unterrichten vorzüglich Eintragungen unter dem Datum 1924 Juni 26 in NIS XV Tod Franz Ferdinands. Gedenkartikel, unbenützt. ”) NIS XVI. ls) Erinnerungen an das Belvedere in Grazer Volksblatt 1937 Juli 8 bzw. NIS I Franz Ferdinand. Vgl. auch NIS XV Elegien und Tod Franz Ferdinands. Gedenkartikel, unbenützt. 19) Sosnosky Die Balkan-Politik 2 (Stuttgart 1914) X. Vgl. auch Nachlaß Brosch im KA Nachlaß-Sammlung B/232 Nr. 11, Sosnosky an Brosch 1914 Juli 2. 20) NIS VI. 21) NIS V System Potemkin. 22) NIS IX Parlamentsszenen.