Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 39. (1986)
WOHLGEMUTH, Edith: Theodor von Sosnosky und sein Nachlaß
Theodor von Sosnosky 115 Konvoluts verwendet hat, die irreführende oder gar keine Aufschriften tragen. Materialsammlungen, vorzüglich aus Zeitungsausschnitten bestehend, eigene Rezensionen und Artikel, sowie empfangene Briefe kennzeichnen den Bestand des Nachlasses, der nicht nur die Spuren der persönlichen Denkrichtung, Arbeitsweise und die Ziele desjenigen aufzeigt, bei dem er entstanden ist, sondern als solcher an sich auch als Quellensammlung einer bestimmten Methode von Geschichtsschreibung gewertet werden kann, sowie für die Beurteilung zeitgeschichtlicher Ereignisse und Gestalten in ihrer oder fast ihrer Zeit. Die Schaffenszeit des am 4. Jänner 1866 in Budapest geborenen und am 13. Februar 1943 in Wien verstorbenen Sosnosky hatte schon vor Beginn der Korrespondenz mit dem erwähnten, um zwanzig Jahre älteren Torresani ihren Anfang genommen. Sosnosky hatte sich bereits als strenger, ja scharfer, durch keinerlei Rücksichten beeinflußbarer Literaturkritiker, der über eine große Belesenheit verfügte und sich vorzugsweise auch mit Sprachkunde beschäftigte, hervorgetan4). Ein seltsamer Unstern schien über seinem Leben zu walten, der ihm nur allzuoft den erhofften oder als verdient erwarteten Erfolg versagte und die äußeren Umstände seiner Existenz - ganz abgesehen von der Not der letzten Lebensjahre - in die Enge materieller Beschränktheit zwang. Dies mag sehr wohl innere Gründe gehabt haben, die schon in einer die glückliche Persönlichkeitsentfaltung hemmenden Erziehung zu suchen sind, da er die an ihn gestellten Forderungen von Schulerfolg und tadelsfreier Haltung erfüllte, aber verschlossen, der Unbeschwertheit entbehrend, sich die Pose des unfrohen Skeptikers zurechtgelegt hatte, die zur Gewohnheit zu werden drohte und, in Phasen wachsender Reife zwar gemildert und vermenschlicht, sein immer wiederkehrendes Pech zu bestätigen schien5). Seiner Introvertiertheit entsproß auch jene Art Stolz, die häufig für Charakterfestigkeit gehalten wird, aber eher auf unbeweglichen Starrsinn, Schroffheit und die dürftig entwickelte Fähigkeit, sich Gegebenheiten anzupassen, hinweist. Die zur Schau getragene Kühle sollte das warm schlagende Herz verbergen, das sich in Wirklichkeit zu starken Empfindungen entzünden ließ und sich durch seltene Treue auszeichnete, — Treue zu bevorzugten Menschen und Treue zu Weltanschauung und Idealen. Das Vaterland auch seines Geistes war für Sosnosky die österreichisch-ungarische Monarchie, die Gesamtheit des Habsburgerreiches. In einer Zeit, da der Nationalismus gefährliche Giftblüten hervorbrachte, durch die die Einheit gesprengt zu werden drohte und ja auch schließlich gesprengt wurde, bekannte er sich einzig zur „Nationalität“ des schwarzgelben Österreichertums. Welcher anderen Nationalität sollte er sich auch zuzählen, fragte er spöttisch, er, in dessen Adern vom Vater her polnisches, deutsches und wallonisches Blut floß und der zu seinen mütterlichen Vorfahren Siebenbürger Sachsen, Wiener, 4) Vgl. unter anderem seinen wohl erst Breslau 1894 erschienenen Sprachwart. 5) NIS XV Theodor 1883. 8'