Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38. (1985)

LAUBACH, Ernst: „Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffes

.Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert 27 vermieden hat146). Auch im sogenannten „Frankfurter Anstand“ (1539), dessen Abmachungen der Sache ziemlich nahe kamen, sind unbestimmte, offenere Begriffe verwendet worden: Mit dem Ziel einer „gut christlich und entlieh Vergleichung“ in der Religion sollte ein „tag“ stattfinden, auf dem die Reichsstände paritätische Theologenausschüsse einsetzen würden, deren Ergebnisse „durch mitels eines Reichstags oder in ander gepurlicher weis“ ratifiziert werden sollten 147 *). Über eine päpstliche Beteiligung war infolge protestantischen Widerspruchs nichts gesagt, weshalb die Kurie ein „Nationalkonzil“ witterte 14S). Karl V. gab ihren Protesten statt und ratifizierte den Anstand nicht. Für die Religionsgespräche der beiden nächsten Jahr hat er stets bevollmächtigte Vertreter vom Papst ange­fordert 149). Wohl ließ er, wenn er päpstliche Aktionen als störend emp­fand, warnend auf die deutschen Neigungen zu einer nationalen Veran­staltung hinweisen 15°), aber angesteuert hat er die „assemblée nationa­le“ eben nicht. Insofern hat Luther Karls Intention verfehlt, als er Ende 1540 an Melanchthon schrieb, falls der Kaiser die Einberufung eines Na­tionalkonzils erwäge, das nur diesen Namen nicht tragen und auf die Autorität des Papstes verzichten solle, dann müsse man ernstlich darum beten151). Die Versammlung, der die Ergebnisse der Religionsgespräche vorgelegt werden sollten, wurde als Reichstag nach Regensburg be­rufen und hatte zu erörtern, ob die Religionsfrage „durch den weg aines rechtmessigen concilii oder sonst christliche Vergleichung“ weiter zu be­handeln sei152), also nicht die Entscheidung über sie zu treffen. Dagegen ist protestantischerseits einige Male — sowohl in Vorberatungen wie an die Adresse des Kaisers — eine von ihm zu berufende „national- versamlung und freuntlich gesprech“ als zweiter Schritt zur Verständi­gung — nach der Verlängerung und Ausdehnung des Nürnberger Still­halteabkommens von 1532 — bzw. als am ehesten geeigneter Weg zur Religionsvergleichung genannt worden 153). Zu fragen ist, wie weit damit we) NUr in einer Straßburger Quelle ist von einem inoffiziellen Angebot einer „versamlung deutscher nation“ die Rede (Corr. Straßburg 3 43 f). Melanchthon, der über dieselbe Sondierung berichtet hat, erwähnt nichts dergleichen: Corpus Reformatorum, ed. C. G. Bretschneider (künftig CR) 3 (Halle 1836) Sp. 1003. Der Kontext erlaubt die Vermutung, daß die Straßburger Anspielungen auf den „Frankfurter Anstand“ überinterpretiert haben. 147) Abgedruckt in Die Vorbereitung der Religionsgespräche von Worms und Regensburg 1540/41, hg. von W. H. Neuser (Neukirchen—Vluyn 1974) 75—85, hier 78 f. Allgemein dazu Paul Fuchtel Der Frankfurter Anstand vom Jahre 1539 in ARG 28 (1931) 145—206, bes. 185 ff. ws) NB 1/4 162 Anm. 4; Fuchtel Anstand 192 ff. 149) Hollerbach Religionsgespräch 131. is») vgl. z. B. NB 1/4 537 ff; 1/6 98 f. isi) D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe: Briefwechsel 9 (Weimar 1941) 271 f. 152) Wortlaut des Ausschreibens bei Neuser Vorbereitung 108—112, hier 110. 153) NB 1/4 493 f und 496 (auch zitiert bei Hollerbach Religionsgespräch

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