Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38. (1985)

LAUBACH, Ernst: „Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffes

26 Ernst Laubach allgemeinen Friedens zwischen allen Reichsständen einschließlich König und Kaiser bei Zusicherung eines immerwährenden Gewaltverzichts ge­genüber den Protestanten oder Ausbau des „Nürnberger Anstandes“ — hatte die „assemblée nationale“ wohl nur den Stellenwert einer Mini- mallösung. Er wollte in für den Glauben sekundären Fragen Einigung oder wenigstens überbrückende Formeln erreichen. Bedeutsam ist, daß er eine partikulare und vorläufige, unter Umständen ohne Mitwirkung des Papstes zu treffende Regelung strittiger Religionspunkte, vor allem in Kirchenbräuchen, nicht mehr grundsätzlich ausschloß142). Doch als „revolutionäre“ Maßnahme in einem „gegen den Papst gerichteten Kampf­programm“ 143) war die „Nationalversammlung“ von Karl V. schwerlich gedacht. Hinweise auf seine Vorstellungen, wie diese Versammlung zu­sammengesetzt und durchgeführt werden sollte, gibt es nicht, eine inhalt­liche Stellungnahme Ferdinands liegt nicht vor. Als für den Glauben se­kundäre Probleme könnte Karl etwa die Gewährung des Kelches an Laien und die Zulassung des Ehestandes für Priester angesehen haben. Denn ein Jahr später hat sein Vizekanzler Held, der jene Erörterung gekannt und die daraus gefolgerten politischen Maßnahmen auszuführen gehabt hat, den Nuntius am Wiener Hof Morone gefragt, ob der Papst nicht in diesen minder wichtigen Punkten entgegenkommen könne, um das auch bei katholischen Ständen zu beobachtende Drängen nach einem „concilio nationale“ einzudämmen 144). Die kaiserlichen Zweifel wurden bald bestätigt: Die europäischen Ver­wicklungen machten den Zusammentritt des Konzils für längere Zeit un­möglich. Da aber der Religionszwist im Reich wegen seiner juristischen und politischen Implikationen dringend der Beilegung bedurfte, schlug Karl V. nun den auch von einigen „konfessionsneutralen“ Ständen emp­fohlenen Weg ein, durch Anstandsverlängerungen und Religionsgesprä­che die Einigung mit den Protestanten vor und unabhängig von einem Konzil, doch möglichst einvernehmlich mit dem Papst, anzustreben145). Bei dieser Prämisse ist es nicht erstaunlich, daß die kaiserliche Politik, soweit ich sehe, den Terminus „Nationalversammlung“ in all den Ver­handlungen, die sich bis zum Regensburger Reichstag (1541) hinzogen, 142) Vgl. Joachim Lauchs Bayern und die deutschen Protestanten 1534— 1546 (Neustadt a. d. Aisch 1978) 99 mit einem etwas früheren Beleg für solche Gedankengänge des Kaisers. 14s) So Eassow Kaiser-Idee 306. 144) Bericht Morones, 1537 Oktober 12, Wien, in NB 1/2 218—222; Morone meinte, man suche mit der Bezeichnung „convento imperiale“ zu vertuschen, daß man ein „concilio nationale“ wolle. — Held könnte auf Karls „assemblée nationale“ — wie er sie verstand — angespielt haben. 145) Dazu Luttenberger Glaub enseinheit 185 ff; Marion Hollerbach Das Religionsgespräch als Mittel der konfessionellen und politischen Ausein­andersetzung im Deutschland des 16. Jahrhunderts (Frankfurt a. M.—Bern 1982) 113 ff.

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