Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38. (1985)
LAUBACH, Ernst: „Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffes
22 Ernst Laubach Glaubensdinge während des Reichstages sollte auf jeden Fall vermieden werden* 121), — sie aber wäre das Kernstück einer „Nationalversammlung“ gewesen. Dennoch ist es während des Reichstages zur Einschaltung einer Phase gekommen, in der man die Glaubensfrage doch durch Beratung auf reichsständischer Ebene zu bewältigen versucht hat, und zwar auf Anregung der katholischen Reichsstände. Sie empfahlen für den Fall, daß der Kaiser nicht zu einer Einigung mit den Protestanten gelange, vor einer dann an sich vorgesehenen Überweisung an das Konzil Ausschußverhandlungen anzubieten, damit sie gütlich auf ihre Standesgenossen einwirken könnten 122). Der Kaiser präzisierte die Aufgabe: Es sollte möglichst viel verglichen und für den Rest sollten interimistische Lösungen bis zum Konzil angestrebt werden123). In den Ausschußverhandlungen im August sind dann ja auch zentrale theologische Fragen erörtert worden124). Die so berechtigte moderne Frage, welcher Art die Religionsverhandlungen eigentlich gewesen sind (O. Scheib)125 *), darf nunmehr so beantwortet werden: Alle Beteiligten mußten einer neu- und einzigartigen Situation gerecht werden und suchten nach Auswegen, die niemandes Rechte verletzten; das führte zu Ansätzen für eine Fortentwicklung des Reichstags zur Nationalversammlung im hier dargelegten Sinne, obwohl der Terminus nicht gebraucht worden ist; auch einige formale Dinge, so z. B. der kleine paritätische Gelehrtenausschuß, entsprachen Vorschlägen, die früher für die Gestaltung einer Nationalversammlung gemacht worden waren. Durch den Abbruch der Ausschußberatungen sind die Ansätze verschüttet worden. III Der Terminus „Nationalversammlung“ ist in den nächsten Jahrzehnten recht häufig aufgegriffen worden. Bei der weiteren Betrachtung müssen wir uns darauf konzentrieren, mit welcher Funktion er eingesetzt worAugsburger Reichstages von 1530 in Zeitschrift für Kirchengeschichte 12 (1891) 123—136 publizierten Akten hervor; ferner Leopold von Ranke Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation 6 (Akademie-Ausgabe von Paul Joa- chimsen, München 1926) 139. 121) B r i e g e r Beiträge 129. 122) B r i e g e r Beiträge 130 ff. Dazu Johannes von Walter Der Reichstag zu Augsburg in Luther-Jahrbuch 12 (1930) 58: „Schon hieran sieht man, daß es den katholischen Fürsten um friedliche Beilegung des Religionsstreites ... wirklich Emst war“. 123) Förstemann Urkundenbuch Reichstag 1530 2 12. Vgl. Winfried Becker Die Verhandlungen der Reichsstände über die Confessio Augustana als Ringen um Einheit und Kirchenreform in Confessio Augustana und Confutatio, hg. von Erwin Iserloh (Münster 1980) 134 ff. 124) Immenkötter Einheit 36ff. 125) Diskussionsbeitrag von Otto Scheib in Confessio Augustana (wie Anm. 123) 160.