Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38. (1985)

LAUBACH, Ernst: „Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffes

.Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert 23 den ist, und ob dabei ein abweichendes Verständnis erkennbar wird. Wo die ursprüngliche Bedeutung deutlich ist, werden wir .Nationalversamm­lung“ ohne näheren Kommentar verwenden. Sehr oft findet man das Wort als Bestandteil einer geradezu formelhaf­ten Fristsetzung, meist in Gestalt von wörtlichen oder sinngemäßen Zi­taten der 1526 aufgestellten Alternative „Generalkonzil oder National­versammlung“: Einige protestantische Politiker waren schon bald danach zu der Einsicht gekommen, man müsse sich über die im eigenen Lager aufgetretenen Lehrdifferenzen für den Fall einigen, „so es zu einem Con- cilion oder nacionalversamlung käme“126). Die obderennsischen Land­stände nahmen 1528 die Alternative auf, als sie die mit Vorhaltungen ver­bundene Frage Erzherzog Ferdinands, wie der Ausbreitung der lutheri­schen und der täuferischen Lehren Einhalt geboten werden könne, unter anderem mit dem Vorschlag beantworteten, alle strittigen Glaubensan­schauungen, die nicht durch die Bibel allein als Ketzerei deklariert wür­den, bis zu einem „Gemain Concilium oder Nationallversamblung“ auf sich beruhen zu lassen m). In den Verhandlungen protestantischer Stän­de über ein Bündnis wurde erwogen, es nicht für eine bestimmte Anzahl von Jahren, sondern „bis nach verscheinung des nechstkunftigen gemei­nen, freien, christlichen concilion oder nationalversamblung“ abzuschlie­ßen * 128). Die Beispiele ließen sich vermehren129 * *). Auch in zahlreichen Dokumenten des zweiten Speyrer Reichstags läßt sich der formelhafte Gebrauch jener Wendung feststellen 13°). Dabei lag eine Verwischung der Akzente nahe, wie eine Zeile im Protokoll Tetlebens zeigt, der sich beim Schreiben korrigierte: „Concilium generale et nationale seu conven­tus nationum [sic!]“ — General- oder Nationalkonzil beziehungsweise Nationalversammlung 1S1). In den nächsten Jahrzehnten begegnet uns die Formel „Generalkonzil oder Nationalversammlung“ ohne nähere Erläuterung ebenso wie die Ver­sion „Generalkonzil oder Nationalkonzil“ 132). Über den Sinngehalt von 126) So Georg von Brandenburg-Ansbach an Johann von Sachsen, 1528 De­zember 15, zit. nach Schubert Beiträge 51; vgl. auch das Rundschreiben an die Pfarrer von Brandenburg-Ansbach (1529 Januar 8), ebenda 54 Anm. 1. 127) Oberösterreichisches Landesarchiv Linz Annalen des oberösterreichi­schen Landtags: Stand. Handschrift n. 11 fol. 12r; vgl. Karl Eder Glaubens­spaltung und Landstände in Österreich ob der Enns 1525—1602 (Linz 1936) 36 f. 128) RTA JR 8 123. 129) Formelhafter Gebrauch in RTA JR 8 29, 45, 122, 298, 395 f, 546, 575, 654, 730, 997, 1049, 1081. Weitere Beispiele: Corr. Straßburg 1 279; Urkunden zur Ge­schichte des Schwäbischen Bundes, hg. von Karl K1 ü p f e 1 (Stuttgart 1853) 314 ff. wo) RTA JR 7 560, 995 f, 1081, 1095, 1132, 1216, 1218 f, 1229, 1264, 1278, 1299 (im Reichstagsabschied), 1349. isi) RTA JR 7 594 Z. 29 f. i32) Einige Beispiele bei Helmut N e u h a u s Ferdinands I. Reichstagsplan 1534/35 (Teil 2) in MÖStA 33 (1980) 29 ff und 26 Anm. 25.

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