Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38. (1985)

LAUBACH, Ernst: „Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffes

20 Ernst Laubach Wie erwähnt, hoffte Kurfürst Johann von Sachsen, dieser Reichstag würde die Qualität einer Nationalversammlung gewinnen; auch darum hatte er sich zur persönlichen Teilnahme entschlossen und die nötigen Expertisen umgehend bei seinen Theologen in Auftrag gegeben108). Andererseits zeigt sich schon 1529 eine Tendenz bei den Protestanten, auf Grund der Erfahrungen während des zweiten Speyrer Reichstages von der Möglich­keit einer Regelung der Glaubensfrage durch Beschlußfassung der Reichs­stände, kurz durch eine Nationalversammlung, abzurücken: In ihrem Ap­pellationsinstrument gegen den Reichstagsabschied hatten sie ihre Beru­fung noch an den Kaiser, an ein freies christliches Generalkonzil, an „un­ser nationalzusamenkomen“ oder sonstige kompetente Unparteiische ge­richtet 109). Als sie aber im Sommer 1529 eine Gesandtschaft an Karl V. abfertigten, die ihm erläutern sollte, warum sie sich zum Protest gegen den Abschied und zur Appellation hätten entschließen müssen, argumen­tierten sie in der Instruktion, der Abschied enthalte Beschlüsse zu Glau­bensfragen und verstoße damit gegen die Anordnung des Kaisers, mit der er die 1524 geplante Versammlung — sie wird als Reichstag bezeichnet — verboten habe; mithin dürften die in Speyer 1526 getroffenen Regelungen vor einem Generalkonzil nicht mehr geändert werden; die an dieser ent­scheidenden Stelle im Entwurf notierte Alternative „oder nationalver- samblung“ wurde weggelassen110 *)! Ähnliche, nur noch auf das Gene­ralkonzil hinweisende Ausführungen finden sich in einem von Lazarus Spengler aus verwandtem Anlaß entworfenen Schriftstückm). 1530 drängte vor allem Landgraf Philipp von Hessen in diese Richtung. Er wünschte gerade zu verhindern, daß Kaiser und Reichstag den Glaubens­zwist verbindlich entschieden, vielmehr sollte die Forderung nach dem Generalkonzil verstärkt erhoben werden112 113). Der historisch-politische Teil der Vorrede zur Confessio Augustana bewegt sich auf dieser Linie, wenn an die allgemeine Übereinstimmung zwischen Kaiser und Reichs­ständen erinnert wird, daß ein Generalkonzil herbeigeführt werden solle, und erneut im voraus an dieses appelliert wird, während die Alternative „Nationalversammlung“ nicht erwähnt wird lls). Als die Gespräche fest­gefahren waren und die Protestanten nur noch über die Verlängerung los) Förstemann Urkundenbuch Reichstag 1530 1 11, 24, 40ff. 109) RTA JR 7 1345—1356, hier 1353. no) RTA JR 8, bearb. von Wolfgang Steglich (Göttingen 1970—71) 25— 42, bes. 30—34; die Streichung 31 (y—y). An zwei anderen Stellen ist die Alter­native „Generalkonzil — Nationalversammlung“ als Formel stehen geblieben (29 und 40). Zum historischen Umfeld vgl. Steglich Stellung 168. in) RTA JR 8 701 ff. 112) Dazu Herbert Grundmann Landgraf Philipp von Hessen auf dem Augsburger Reichstag 1530 in Aus Reichstagen des 15. und 16. Jahrhunderts (Göttingen 1958) 346 und 361 mit Nachweisen. 113) Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche (Göttingen 81979) 47 ff; es handelt sich um die endgültige Fassung. Dazu Bernd Mo ei­le r Augustana-Studien in ARG 57 (1966) 81 f.

Next

/
Thumbnails
Contents