Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38. (1985)
LAUBACH, Ernst: „Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffes
.Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert 15 gegen die Geistlichkeit beauftragt werden sollten; zweitens Beschließung von Maßnahmen zur Türkenbekämpfung. Aber von Teilnahme der Universitäten oder graduierter Theologen an der Versammlung ist in dem Mandat nicht die Rede 77), die Reichsstände sollten persönlich erscheinen oder umfassend bevollmächtigte Räte entsenden. Auch gegenüber dem Kaiser hat Ferdinand für das Projekt von Speyer, wenn er nicht die korrekte Übersetzung „generalis congregatio totius Germanice nationis“ (oder „conventus totius nationis“) verwendete, mit „conventus imperialis“ und „diette“ Bezeichnungen benutzt, die sonst für den Reichstag eingesetzt wurden 78 *). Und in seinem Erlaß an die Universität Wien, der die Gutachten für Speyer in Auftrag gab, steht folgerichtig dafür „proxima dieta“ 78). Soweit ich sehe, ist diese Auslegung von reichsständischer Seite nicht beanstandet worden. In verschiedenen brieflichen Äußerungen wird auch bei ihnen die künftige Versammlung als „reichstag“ zu Speyer bezeichnet80). Das Reichsregiment machte sich diesen Sprachgebrauch ebenfalls zu eigen81). Luther, dessen Vorstellungen von einer „Nationalversammlung“ uns sehr interessieren würden, konnte, da er nur das Mandat, nicht den Wortlaut des Reichstagsabschiedes gekannt hat, in seiner polemischen Schrift von 1524 Zwei kaiserliche uneinige und widerwertige Gebote den Luther betreffend in der nach Speyer berufenen Veranstaltung nur einen „reichs Tag“ erkennen 82). Kaiser Karl V. hat sich auf diese Interpretation nicht eingelassen. Neben den Protesten der Kurie, die nach wie vor Zielsetzung und Zusammensetzung, besonders die Teilnahme von Laien, angriff83), dürften ihn das politische Kalkül, die Situation in Italien nicht durch Belastung der Beziehungen zum Papsttum zu verschärfen, und die Abneigung, das Wormser Edikt zur Diskussion stellen zu lassen, dazu bewogen haben, die Veranstaltung von Speyer zu untersagen. In der Begründung des Verbots sind die Warnungen der Kurie vor den Folgen für die Einheit der Christenheit übernommen, und hinzugefügt ist der Vorwurf an die Reichsstände, ihre Kompetenzen überschritten zu haben: Es sei des Kaisers Auf77) Übrigens im Reichstagsabschied auch nicht. 78) KF 1 184 f (Punkt 61); vgl. weitere Briefe Ferdinands an Karl aus dem Jahr 1524 (ebenda 115 f, 211, 215). 7!l) Gedruckt bei Rudolf Kink Geschichte der kaiserlichen Universität zu Wien 1/2 (Wien 1854) 130 f. so) RTA JR 4 794 Anm. 1; Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen, hg. v. Felician G e ß, 2 Bde (Leipzig 1905 und 1917) hier 1 713; Politische Correspondenz der Stadt Straßburg im Zeitalter der Reformation [= Corr. Straßburg] 1, bearb. v. Hans Virck (Straßburg 1882) 92. si) G e ß Akten 1 730 f. 82) D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe 1. Abt. 15 (Weimar 1899) 254 und 243 f (Herausgeberbemerkung). 83) Vgl. Gerhard Müller Die römische Kurie und die Reformation 1523— 1534 (Gütersloh 1969) 25 ff.