Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 38. (1985)

LAUBACH, Ernst: „Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffes

14 Ernst Laubach werde kaum etwas Geringeres als ein Nationalkonzil sein69). Erzherzog Ferdinand schließlich begann sofort, die in der Namensänderung liegen­den Möglichkeiten in seinem Interesse zu nutzen. Die Funktion, die er der projektierten Martini-Versammlung zudachte, kommt in dem alsbald publizierten Mandat zum Ausdruck, das die wichtigsten Beschlüsse des Reichstages bekanntmachte70). Dabei wurde der Umstand ausgenutzt, daß der Reichstagsabschied zwei Bezeichnungen für die in Aussicht genommene Veranstaltung enthielt, was aus verschiedenen Verhandlungsgegenständen resultierte. An anderer Stelle als der oben zitierten heißt es, man habe sich zur Weiterbehand­lung der Türkenabwehr auf eine „andere gemeine versamlung des hei­ligen reiches stende“ für Martini in Speyer verständigt71). In dem reichs­ständischen Dokument, das die Vorstufe zu dieser Passage des Abschieds darstellt, sind „reichsversamlung“, „gemaine versamlung“ und „gemaine versamlung des heiligen reichs“ synonym verwendet72 73); nach Beratungs­gegenstand und Teilnehmerkreis konnte damit schwerlich etwas anderes als ein neuer Reichstag gemeint sein78). In Ferdinands Mandat wurde nun zur Teilnahme an einem „gemain reichstag und versamlung“ — die Doppelung ist an allen Stellen durchgeführt — aufgefordert74). Damit wollte Ferdinand die Speyrer Versammlung vorab als Reichstag charak­terisieren 75). Er erstrebte nämlich eine Korrektur der für ihn insgesamt enttäuschenden Ergebnisse der Nürnberger Tagungen, vor allem der un­zulänglichen Beschlüsse zur Türkenhilfe, während er die auf der nächsten Versammlung der Reichsstände beabsichtigte Beratung über die Reli­gionsfragen für risikovoll oder sogar schädlich hielt76 *). Ändern konnte er nichts an den beschlossenen Verhandlungsgegenständen: erstens vor­bereitende Arbeit für das Generalkonzil, weshalb unverzüglich die Uni­versitäten von ihren Landesherren mit der Abfassung von Gutachten über die neuen Lehrfragen, über den letzten Katalog der „Gravamina der deut­schen Nation“ und über die jüngsten Beschwerden der weltlichen Stände «8) RTA JR 4 778 Anm. 1. 70) Ebenda 615—620. Formal ist die Publikation als Mandat Karls V. stilisiert. 71) Ebenda 608. 72) Ebenda 458. 73) Die Terminologie, im 15. Jahrhundert noch fließend, wie Peter M o r a w Versuch über die Entstehung des Reichstags in Hermann Weber (Hg.) Politi­sche Ordnungen und soziale Kräfte im alten Reich (Wiesbaden 1980) 9 ff gezeigt hat, hatte sich noch nicht endgültig verfestigt, obwohl „reichstag“ bereits do­miniert. 74) Wie Anm. 70, bes. S. 616, 619. 75) Richtig schon Brasse Speierer Nationalkonzil 18 f; ebenso H o f m a n n Konzilsfrage 99. 76) Darum riet er dem Kaiser, beim Papst auf ein baldiges Generalkonzil zu dringen; vgl. die Instruktion für seinen Sondergesandten Bredam, 1524 Juni 13, in Die Korrespondenz Ferdinands I. 1: Familienkorrespondenz bis 1526, be- arb. v. Wilhelm Bauer (Wien 1912) [= KF 1] 186 (Punkt 63).

Next

/
Thumbnails
Contents